Julia Collection Band 61 (German Edition)
höre den Wind nicht mehr“, flüsterte Annie. „Ich kann auch keinen Regen mehr hören.“
Nick nahm sie bei der Hand, suchte auf dem dunklen Boden nach der Taschenlampe. Dann führte er Annie in die Küche. Er hatte keine Ahnung, wie lange der Sturm getobt hatte, ihm war jedes Zeitgefühl abhandengekommen. Annie hatte ihn so sehr abgelenkt, dass er auf nichts anderes mehr geachtet hatte.
„Ich werde versuchen, den Wetterdienst über Kurzwelle zu erreichen“, sagte er. „In der Küche steht ein batteriebetriebenes Radio. Allerdings müssen wir erst etwas essen, sonst verhungere ich.“
„So? Auf die Idee wäre ich gar nicht gekommen.“ Sie lachte und wies auf ihre nackten Körper. „Wo wir uns noch nicht einmal Zeit genommen haben, uns etwas überzuziehen. Hoffentlich kommt keiner.“
„Keine Angst. Wer auf der Insel geblieben ist, weiß genug, um sich erst aus dem Haus zu rühren, wenn man absolut sicher ist, dass der Sturm vorbei ist.“
Nick zündete einige Lampen an, die er am Vorabend bereitgestellt hatte. Sowie die Küche einigermaßen erhellt war, holte Annie Teller und Gläser aus dem Küchenschrank. Glücklicherweise war von dem Stew noch etwas übrig geblieben, das konnte sie auf dem Propankocher warm machen.
Nick beobachtete sie. Mit ihren roten Locken und ihren schnellen und energischen Bewegungen erinnerte sie ihn an einen kleinen Kobold. Sie ist noch so jung, dachte er, so unberührt vom Elend der Welt.
Wieder musste er an all das denken, was ihm in seinem Leben bereits widerfahren war, und sofort fühlte er, wie sein Herz schwer wurde. Aber als Annie sich umdrehte und ihn anstrahlte, wurde ihm wieder leicht zu Mute.
„Meinst du, dass wir trotz des Sturms das Leitungswasser trinken können, oder sollten wir lieber nur Mineralwasser nehmen?“, fragte sie, während sie eine große Flasche aufschraubte.
„Wir bekommen unser Wasser aus unterirdischen Zisternen, und mit denen sollte alles in Ordnung sein. Allerdings muss das Wasser in die Leitungen gepumpt werden, was ohne Strom schlecht geht. Sowie wir sicher sind, dass der Sturm sich endgültig verabschiedet hat, kann ich die Generatoren anwerfen.“
„Das ist ja herrlich! Das bedeutet, dass wir auch bald wieder heißes Wasser haben.“ Sie trat mit den Tellern an den Tisch, stellte sie ab und setzte sich dann neben Nick.
„Denkst du dabei an die Dusche oder an das Geschirr?“ Sofort stellte er sich vor, Annie in der Dusche zu lieben.
Sie grinste ihn frech an. „An beides.“
Wieder wunderte er sich, dass ihre Nacktheit sie offenbar überhaupt nicht verlegen machte. Sie schien sich in ihrem Körper total zu Hause zu fühlen. Christina wäre nie nackt im Haus herumgelaufen.
Erstaunlicherweise verspürte er diesmal nicht den Schmerz, der sich normalerweise bemerkbar machte, wenn er an Christina dachte. Stattdessen betrachtete er Annie, die offenbar ein gesundes Verhältnis zu ihrem Körper hatte. Sie strahlte ihn an, und sofort meldete sich sein Verlangen wieder. Würde er denn nie genug von ihr bekommen?
Ihre Lippen wirkten noch leicht geschwollen von den leidenschaftlichen Küssen, und es wäre keine Überraschung, wenn seine es ebenfalls wären. Während er beobachtete, wie sie aß, bemerkte er einige rote Flecken auf ihrem Hals und ihrer Brust. Augenblicklich erinnerte er sich daran, was sie die letzten Stunden getan hatten. Sie hatten sich leidenschaftlich und wild – ja geradezu animalisch – geliebt.
Wenn er Annie jetzt betrachtete, hatte er beinahe ein schlechtes Gewissen. Ihr unschuldig jugendliches Gesicht und die Zeugnisse einer berauschenden Liebesnacht passten nicht so recht zusammen. Er hatte eine Jungfrau verführt und konnte als Entschuldigung nicht mal vorgeben, angetrunken gewesen zu sein.
Was ihn noch mehr beunruhigte war die Tatsache, dass er Annie in den vergangenen Monaten immer mehr schätzen gelernt hatte. Sie war so geduldig und einfühlsam gewesen, während sie mit ihm daran gearbeitet hatte, die volle Beweglichkeit seines Knies wiederherzustellen. Durch sie hatte er wieder lachen gelernt.
Als sie in der Nacht die Befürchtung geäußert hatte, sie könnten bedauern, was vorgefallen war, war ihm ganz elend geworden. Er konnte sich gar nicht vorstellen, ohne sie zu sein. Dabei konnte er nicht damit rechnen, dass sie nun auf alle Zeiten seine Physiotherapeutin blieb. Wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass er fast schon seine komplette Mobilität und Kraft zurückgewonnen hatte. Eines Tages
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