Julia Collection Band 62
geschlafen?“
„Nicht besonders gut“, gab sie zu. „Ich bin jeden Tag hier im Krankenhaus, während ich versuche, das mit meinem Job zu koordinieren. Da ist so viel, worüber ich nachdenken muss, und dann hatte ich heute …“, im Stillen zählte sie nach, „… sieben Tassen Kaffee.“ Mit all diesen Männern, die kein Interesse an kleinen rosa Babysöckchen hatten. „Normalerweise trinke ich nicht so viel Kaffee.“
„Sie stehen unter Stress“, erklärte er. „Offensichtlich gibt es da Dinge, die Sie mir noch nicht erzählt haben.“
„Meinen Sie?“
„Und Dinge, die ich Ihnen noch nicht erzählt habe. Wie ich vorhin schon erwähnte, müssen wir einige Entscheidungen treffen, und wie mir scheint, sollten Sie etwas essen, anstatt Unmengen Kaffee zu trinken.“
„Was schlagen Sie vor?“
„Unten in der Lobby gibt es eine Cafeteria.“
„Glauben Sie mir, das ist mir bekannt!“
Fünf Minuten später saß Suzanne an ihrem Lieblingstisch neben dem Fenster – demselben Tisch, an dem sie schon Robert, Mike, Tom, Leo, Colin und John getroffen hatte – und wartete auf das Essen und das Mineralwasser, das sie bestellt hatte. Wieder einmal kramte sie nach einem Taschentuch. Die Frau, die hinter ihr saß, hatte Katzenhaare auf ihrer Jacke, und Suzanne war allergisch und …
„Hatschi!“ Gerade noch rechtzeitig brachte sie das Taschentuch an ihre Nase, während sie bereits nach dem nächsten griff. Dabei fiel ein vertraut aussehendes Stück rosafarbener Wolle auf den Tisch vor ihr. Kein Wunder. Sie hatte es ja ganz bewusst so platziert, dass es sofort aus ihrer Tasche rutschte.
Als sie das dritte Mal nieste, dachte sie: Ich kann diesen Strumpf nicht mehr sehen. Er hat kein bisschen geholfen.
Stephen hob das Babysöckchen auf und drehte es abwesend in seinen Fingern, so, wie man es auch häufig mit einem Kugelschreiber tat.
Ich möchte nicht hier sein. Ich würde die Situation nicht so handhaben, wenn ich mehr Zeit hätte oder wenn diese Frau nicht involviert wäre. Ich will kein doppeltes Spiel spielen, aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Mein Land steht an erster Stelle. So hat es mich mein Vater gelehrt und meine Urgroßmutter …
Er war müde. Noch immer hatte er sich nicht ganz von den Geschehnissen der vergangenen Monate erholt, und dabei wusste er, dass ihm die größten Veränderungen noch bevorstanden. Das Volk Aragovias hatte einer neuen Verfassung zugestimmt, wonach der Erbe des Serkin-Rimsky-Throns wieder das Staatsoberhaupt werden sollte. Er hatte große Hoffnungen sowohl für sein Leben als auch für sein Land. Hoffnungen, die noch vor sechzehn Jahren, als er volljährig geworden war, vollkommen illusorisch schienen.
Dennoch war er nicht vollkommen sicher. Noch waren keine Tatsachen geschaffen worden. Weder in seiner Heimat noch im Leben der kleinen Alice. Zu Hause stand er unter dem Druck seiner politischen Ratgeber. Die Thronfolge musste gesichert werden. Man erwartete, dass er so bald wie möglich heiratete und bis zur Volljährigkeit von Alice die Regentschaft des kleinen Landes übernahm – als Fürst von Aragovia.
Doch seine Arbeit als Arzt und die veränderte Situation in seiner Heimat hatten ihn zu sehr beschäftigt, als dass er auch nur daran gedacht hätte, eine Beziehung zu einer Frau aufzubauen.
Und dann war da die kleine Alice. Gestern hatte er sich lange Zeit mit Dr. Feldman unterhalten.
„Jodie hat mir von Ihnen erzählt“, hatte Michael Feldman mit einer Zurückhaltung gesagt, die Stephen nicht entgangen war. „An einem bestimmten Punkt wollte sie nichts mehr mit Ihnen zu tun haben – und mit einem so fremden Land wie Aragovia schon gar nicht. Ihr Vater hatte nie geglaubt, dass es dort eine Zukunft für seine Familie gibt.“
„Nein, deshalb hat er das Fürstentum in den Fünfzigerjahren verlassen. Mein Vater hat das anders gesehen.“
„Wie stellt sich denn die Situation jetzt dar? Die Mafia hat das Sagen, richtig?“
„Eine Zeit lang war das so, ja. Doch das hat sich geändert. Es gibt Anlass zu großen Hoffnungen für die Zukunft des Landes.“
„Sie sollten an Ihre Zukunft denken und aus Aragovia rauskommen.“
Stephen hatte nicht gewusst, was er darauf antworten sollte. In den vergangenen Jahren hatte er durch seine Arbeit als Arzt eine Menge Respekt in seiner Heimat erworben. In der Verteidigung seines Erbes hätte er beinahe sein Leben verloren, doch er hoffte zuversichtlich, dass seine Hingabe für sein Land schon bald belohnt
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