Julia Collection Band 62
geschlossen und in ihrem Leben willkommen geheißen in dem Moment, als sie das Kind im Juli zum ersten Mal gesehen hatte. Damals hatte Alice weniger als zwei Pfund gewogen. Niemand konnte wissen, ob sie überleben würde. Und Suzanne hatte nicht die leiseste Ahnung von dem Vermögen gehabt oder welchen Wert Dr. Feldman auf Stabilität und Ehe legte.
„Was ich hier will?“, wiederholte Stephen Serkin.
„Ja.“ Herausfordernd starrte sie ihn an. „Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie den weiten Weg von …?“ Sie brach ab, damit er die Lücke füllte.
„Europa. Aus Aragovia.“
„Europa?“, wiederholte sie. Sie hatte noch nie etwas von Aragovia gehört. „Dass Sie also den weiten Weg von Europa gemacht haben, nur um ihr einen Teddybär zu bringen?“
„Keinen Teddybär.“
Zum ersten Mal lächelte er. Seine Zähne waren sehr weiß, doch in der oberen Reihe leicht schief, was sein Lächeln ein wenig uneben machte, aber auch weicher, weniger einschüchternd, wie Suzanne widerwillig feststellte. Nervös beobachtete sie, wie er sich zu einer auf dem Boden liegenden Tasche hinunterbeugte und etwas daraus hervorholte.
„Ich habe ihr eine Puppe mitgebracht.“
„Oh.“
„Ist das in Ordnung?“ Er hielt ihr die Puppe zur Inspektion hin, so, als wenn ihr Urteil ihm wichtig wäre. Suzanne griff nach dem Spielzeug, weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte. Für einen kurzen Moment berührten sich ihre Finger.
„Das ist natürlich wunderbar“, sagte sie zögerlich.
Nichts machte mehr einen Sinn. Dieser Mann war nicht einfach nur nach Amerika gekommen, um Alice eine Puppe zu schenken! Suzanne konnte das Misstrauen nicht unterdrücken, dennoch rührte sie die Geste.
Die Puppe war kein Massenprodukt aus Plastik, das er in einem Geschäft am Flughafen gekauft hatte. Sie war aus Tuch und Garn hergestellt worden, mit einem handgemalten Gesicht und in etwas gekleidet, das wie eine Nationaltracht eines europäischen Landes aussah.
Aragovia?
Es hatte etwas Tragisches, dass sie so wenig über ihre Halbschwester wusste. Da war der Altersunterschied von zehn Jahren zwischen ihnen gewesen, und bis zum vergangenen Frühjahr hatte Suzanne gar nichts von Jodies Existenz geahnt. Sie hatten sich lediglich zweimal gesehen – bis der Tod ihr die gerade gefundene Schwester wieder nahm.
„Sie darf doch hoffentlich Spielzeug haben?“, fragte Stephen Serkin.
„Ja, wenn es sauber und neu ist“, antwortete Suzanne. „Ihr Immunsystem ist jetzt stärker.“
Zerstreut wandte sie sich dem Brutkasten zu, wobei sie die hübsche Puppe noch immer in der Hand hielt. Sie platzierte sie so, dass Alice sie später sehen konnte. Das Baby hatte angefangen, Gesichter und Schwarz-Weiß-Kontraste wahrzunehmen.
„Sie wacht auf …“, murmelte Suzanne. Alice rekelte sich im Schlaf.
„Nein, sie träumt, denke ich.“ Wieder dieser weich klingende Akzent. Stephen erhob sich und stellte sich neben sie, sodass sie beide auf Alice hinabblickten. „Schauen Sie nur! Sie lächelt sogar“, fügte er hinzu.
„Lächelt? Oh mein Gott, sie lächelt!“ Suzanne konnte es nicht glauben. „Das hat sie noch nie gemacht.“
„Aber jetzt im Schlaf tut sie es. Schauen Sie noch einmal! Ist das nicht ein wunderschöner Anblick?“ Er lachte, ein kehliger Laut purer, reiner Freude.
„Ich … ich kann es immer noch nicht fassen.“
„Es ist aber so, Suzanne“, bemerkte Terri McAllister, die zu ihnen an den Brutkasten getreten war. „Man denkt, Frühchen wären zu schwach, um zu lächeln. Aber tatsächlich lächeln sie beinahe genauso früh wie Babys, die nach neun Monaten geboren wurden.“
Suzanne lehnte sich über den Brutkasten. Wieder erschien dieses kleine Lächeln, diesmal ganz unübersehbar.
„Oh, Alice! Tatsächlich! Wovon kann sie nur träumen, dass sie so glücklich und zufrieden ist?“
„Von Ihnen“, meinte Stephen. Er stand immer noch neben ihr, und sie fühlte die Wärme seines Arms an ihrem Handgelenk. Auch seine Hüften stießen gegen sie.
„Von mir?“
Sie war verzweifelt darum bemüht, sich seiner zufälligen Berührung nicht so bewusst zu sein. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte sie, wie wohlgeformt seine Arme waren. Glatt und stark und voller Muskeln. Er schien viel Sport zu treiben.
„Ja, von Ihnen.“ Zum zweiten Mal lächelte er sie an. „Natürlich von Ihnen.“
Sie erkannte, wie das Lächeln Fältchen um seine Augen legte und sein ganzes Gesicht strahlen ließ. Außerdem hatte es etwas
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