Julia Exklusiv 0180
Romanheldin zu erneuern, die, ähnlich wie sie selbst, als Fremde auf ein ländliches Schloss kam, das sich der Beschreibung nach nur wenig von Ratcliffe Hall unterschied.
Lois hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verstrichen war, als das laute Knacken eines Zweiges sie aus ihrer Versunkenheit riss. Sie hob den Kopf und sah Rob quer durch den Park auf sich zukommen.
Der hat mir gerade noch gefehlt, dachte sie grimmig. Gleichzeitig aber versetzte der Anblick des großen schlanken Mannes sie in prickelnde Erregung. In engen Jeans und kurzärmeligem blauem Hemd sah er wieder einmal unverschämt gut aus.
Männern mit einer solchen Figur sollte das Tragen von Jeans verboten werden, dachte Lois, während sie ihn hinter dunklen Brillengläsern eingehend musterte. Das am Hals offene Hemd spannte sich um seine breiten Schultern, und er strahlte so viel männliche Kraft und Sinnlichkeit aus, dass sie sich fragte, wie ein armes, schwaches Weib da widerstehen sollte.
„Ich bringe dir deinen Lunch“, begrüßte er sie fröhlich, und da sie ihn nur schweigend ansah, fuhr er lächelnd fort: „Nora hat mich geschickt. Ich glaube, du hast mein ehemaliges Kindermädchen bereits kennengelernt?“
„Oh ja, das habe ich“, bestätigte Lois leicht irritiert. „Sie scheint ein echter Schatz zu sein.“
Wenngleich sie in den vergangenen Wochen von der Haushälterin wenig gesehen hatte, verdankte sie es zweifellos Nora, dass in ihrem Zimmer immer frische Blumen und eine Schale mit Obst standen.
„Ob Schatz oder nicht, jedenfalls ist Nora der Meinung, dass, ich zitiere wörtlich: ‚Dieses Mädchen wie ein Spatz isst.‘ Ich führe nur ihren Befehl aus, der lautet, dir das hier zu bringen.“ Rob stellte den mitgebrachten Picknickkorb neben Lois auf die Treppenstufe. „Und gewissenhaft zu überwachen, dass du alles aufisst.“
„Aber ich bin nicht hungrig!“, protestierte sie. „Außerdem habe ich einige Äpfel und …“
„Moment!“ Er setzte sich neben sie. „Es hat keinen Sinn, mit dem Boten zu streiten, wenn dir die Botschaft nicht zusagt. Falls du tatsächlich etwas gegen Sandwiches mit geräuchertem Lachs und frisch zubereitete, eisgekühlte Limonade hast, musst du das mit Nora klären.“
Er streckte die langen Beine aus, lehnte sich zurück und fuhr, den Blick zum Himmel gerichtet, fort: „Ich jedenfalls würde es nie wagen, meinem alten Kindermädchen zu widersprechen. Um ehrlich zu sein, Lois, ich bin ein ausgemachter Feigling! Schon als wir noch Kinder waren, hat der alte Drachen mich und meinen Bruder mit eiserner Hand regiert. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.“
Lois lächelte, denn der warme Ton, in dem Rob von Nora sprach, strafte seine Worte Lügen. „Hast du außer deinem Bruder noch andere Geschwister?“, erkundigte sie sich, während er den Korb auszupacken begann. „In dem riesigen Schloss hätten mehrere Großfamilien Platz.“
„Nein, ich hatte nur Mark. Doch wir sind beide nicht hier aufgewachsen“, antwortete er und berichtete, dass sein Vater als jüngerer Sohn keinen Erbanspruch gehabt habe, sondern der ganze Besitz Robs Onkel Hector zugefallen sei.
„Man nennt das in Großbritannien das Erstgeburtsrecht“, erklärte er. „Das bedeutet, dass jeweils der älteste Sohn den Titel und den gesamten Besitz erbt. Ich finde dieses Gesetz überholt und reichlich barbarisch. Vor allem aber benachteiligt es Frauen.“ Er schenkte Lois ein Glas Limonade ein.
„Der einzige Vorteil dabei ist, dass Schlösser und Ländereien seit Generationen in voller Größe erhalten blieben, während beispielsweise in Frankreich, wo jedes Kind den gleichen Erbanteil erhält, die großen Güter mit jeder Heirat verkleinert und zersplittert wurden, bis nichts mehr von ihnen übrig blieb.“
Lois runzelte die Stirn. „Ich beginne zu verstehen. Und was ist mit den Frauen? Gilt das Erstgeburtsrecht auch für sie?“
„Leider nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Bis auf ganz wenige Ausnahmen fallen Titel und Besitz immer an den nächsten direkten männlichen Nachkommen. Das ist auch der Grund, weshalb ich vor wenigen Monaten plötzlich mit diesem baufälligen alten Kasten und einem heruntergewirtschafteten Gut dastand.“
Rob erzählte ihr nun von den vielen tragischen Todesfällen, durch die ihm ungewollt das schwere Erbe zugefallen war.
„Das ist wirklich eine sehr traurige Geschichte.“ Voller Mitgefühl sah Lois ihn an. „Es muss schrecklich sein, den einzigen Bruder so jung zu verlieren.
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