Julia Exklusiv 0227
wer weiß schon, was in anderen Menschen vorgeht? fragte sich Kate. Sekundenlang saß sie reglos da. Es überlief sie kalt, als wäre ein Geist über ihr Grab gehuscht.
Plötzlich schreckte sie aus den Gedanken auf. Ein Drink, wahrscheinlich ein Martini, wurde vor ihr auf den Tisch gestellt. Normalerweise trank Kate ihn gern, aber sie hatte ihn nicht bestellt.
„Das muss ein Irrtum sein“, wollte sie zu dem Ober sagen und drehte sich um. Doch statt des Obers stand Peter Henderson neben ihr, der Trauzeuge hätte sein sollen. Offenbar hatte er sich schon umgezogen, denn er trug Jeans und Pullover und blickte Kate in die Augen.
„Nein“, antwortete er. „Sie können bestimmt einen Drink gebrauchen nach dem ganzen Theater. Ich jedenfalls benötige einen.“ Er hob das Whiskyglas hoch, das er in der Hand hielt.
„Danke für die Aufmerksamkeit.“ Kate lächelte höflich. „Aber während der Arbeit trinke ich grundsätzlich keinen Alkohol.“
Er verzog das Gesicht. „Da die Hochzeit nicht stattfindet, haben Sie doch sicher heute frei. Es gibt für Sie hier ja nichts mehr zu tun.“
„Doch, einiges muss noch erledigt werden.“ Kate wies auf die Mappe mit den Unterlagen.
„Darf ich mich zu Ihnen setzen? Oder störe ich?“
„Nein, natürlich nicht“, erwiderte sie und versuchte, mit den Füßen die Schuhe unter dem Tisch zu finden.
„Gestatten Sie?“ Peter Henderson ließ sich auf ein Knie sinken und streifte ihr die Schuhe über.
„Danke.“ Kate errötete leicht.
„Gern geschehen.“ Er setzte sich ihr gegenüber hin und betrachtete sie bewundernd. Mit dem dunkelblonden Haar und der schlanken Gestalt sah sie in dem braunen Hosenanzug aus Seidenkrepp und der cremefarbenen Seidenbluse ganz bezaubernd aus.
„Worauf trinken wir?“, fragte er und stieß mit seinem Glas leicht an ihres. „Auf Liebe und Glück?“
„Unter den Umständen ist es eher unangebracht, oder? Sagen wir doch einfach nur ‚cheers‘, das ist unverfänglicher.“ Sie zögerte kurz. „Wie geht es Ihrem Bruder?“
Peter Henderson presste die Lippen zusammen. „Nicht gut. Er ist erschüttert.“
„Das kann ich mir vorstellen. Es tut mir leid.“
Er zuckte die Schultern. „Vielleicht ist es besser so. Wenn man von Anfang an Zweifel hat, ist eine Trennung kurz vor der Hochzeit immer noch besser als eine Scheidung zu einem späteren Zeitpunkt, wenn vielleicht auch noch Kinder betroffen sind.“
„Ja, wahrscheinlich“, stimmte Kate nachdenklich zu. „Aber die beiden wirkten wie ein perfektes Paar. Hat Ihr Bruder geahnt, dass nicht alles in Ordnung war?“
„Ich könnte mir vorstellen, dass man eventuelle Veränderungen für Nervosität gehalten hat. Angeblich geraten ja viele vor der eigenen Hochzeit in Panik und bekommen Angst vor diesem Schritt.“ Er blickte auf Kates Trauring aus Platin. „Sie waren sicher nicht nervös, oder?“
„Du liebe Zeit, das ist schon so lange her, dass ich mich kaum erinnern kann“, erwiderte sie ausweichend.
„Solange bestimmt noch nicht. Oder Sie haben als Teenager geheiratet.“
„Also bitte.“ Kate warf ihm einen spöttischen Blick zu und errötete schon wieder. „Ganz genau vor fünf Jahren.“
„Ah ja. Es ist wirklich schon eine halbe Ewigkeit her.“ Seine Stimme klang leicht belustigt. „Bereuen Sie es?“
„Nein, überhaupt nicht“, antwortete Kate ruhig. „Wir sind sehr glücklich.“ Warum habe ich das jetzt ausdrücklich betont? überlegte sie.
„Haben Sie Kinder?“ Mit seinen blauen Augen betrachtete er wieder ihre schlanke Gestalt.
„Nein. Wir sind beide noch viel zu sehr mit unserer Karriere beschäftigt.“ Sie entschloss sich, den Martini doch zu trinken. „Ryan hat sich eine zweite Karriere aufgebaut“, fügte sie hinzu.
„Waren Sie damit nicht einverstanden?“
„Im Gegenteil.“ Kate versteifte sich. „Wie kommen Sie auf die Idee?“
„Weil Sie erst etwas trinken mussten, ehe Sie es erwähnten.“
Sie lachte auf. „Sie haben den falschen Schluss gezogen. Der Martini ist meine große Schwäche.“
„Haben Sie nur die eine?“
„Ich versuche, nicht zu viele Schwächen zu haben.“
„Wäre es auch eine, wenn Sie mich Peter nennen würden?“
Plötzlich wurde sie sich bewusst, dass sie sich zu sehr auf das Gespräch eingelassen, sich entspannt und sich ihm geöffnet hatte. Sogleich richtete sie sich auf und blickte ihn kühl an.
„Das wäre eher eine Fehleinschätzung der Situation und außerdem sehr unprofessionell“,
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