Julia Exklusiv Band 0194
können, wenn du nicht immer so eine Träumerin gewesen wärst. Wie Alice im Wunderland, die immer mit Leuten zusammenkam, die sie nicht verstand. Am Ende rannte sie fort.“
Die Tür schlug zu. Charme war gegangen. Doch ihre Worte hingen im Raum wie ihr Parfüm.
5. KAPITEL
Im Wartezimmer des Krankenhauses brannte nur eine kleine Lampe. Es war sehr still im Haus. Den ganzen Tag über war Tarquin ohne Bewusstsein gewesen. Anita hatte Stunde um Stunde auf ein Wort, auf ein Zeichen des Erkennens gewartet.
Es war entsetzlich, so machtlos zu sein, so gar nichts tun zu können, als nur zu warten. Nur die Medizin, die Wissenschaft konnten ihm helfen. Anita war allein. Ann und ihr Verlobter waren zu Buckleys Eltern nach London gefahren.
„Miss Perry!“
Anita erhob sich und starrte erschrocken den breitschultrigen Mann mit dem Gelehrtenkopf und dem dichten roten Haar an – Professor Hugh Strathern. Er kam auf sie zu und legte ihr seine Hände auf die Schultern.
„Sie sind täglich hier, nicht wahr? Kommen Sie doch einmal mit, junge Dame, wir wollen sehen, ob Ihre Stimme unseren Patienten erreicht. Die Wissenschaft kann viel, doch die Rolle einer Frau kann sie nicht spielen. Wollen Sie mir bei meinem Experiment helfen?“
„Ja, gern.“ Sie wusste zwar nicht genau, was er von ihr erwartete, doch verstand Anita, dass sie gebraucht wurde.
Die ganze Nacht saß Anita an Tarquins Bett und redete, wie der Arzt es ihr gesagt hatte. Sie erzählte Dinge aus ihrer Kindheit, aus der Schulzeit. Die komischen und die traurigen Erlebnisse schilderte sie. Halb Vergessenes kam ihr wieder in den Sinn. Ihre Stimme war sanft. Sie kommentierte auch die Theaterstücke, die sie mit ihm gesehen hatte.
Tarquin lag ganz still, doch schien er der Stimme zu lauschen. Er hörte zu, wie sie vom Leben, von der Liebe, von der Fröhlichkeit und Traurigkeit berichtete. Eine Frau saß an seinem Bett. Als er dann endlich aufseufzte und ein Wort formte, war es der Name Nina.
Der Morgen dämmerte schon, da neigte sich Hugh Strathern über seinen Patienten und nickte befriedigt. Dann bat er Anita, mit hinauszukommen.
„Er schläft. Kommen Sie, trinken Sie einen Kaffee mit mir, dann sollten Sie nach Hause gehen und auch schlafen.“
„Sie meinen …?“ Hoffnungsvoll blickte sie ihn an.
Er nickte. „Ja, ich habe es schon mehrfach erlebt. Ein Mann wird geboren durch eine Frau. Er will nicht sterben, wenn eine Frau ihn genügend liebt, um ihn zurückzuhalten. Sie haben ihm in seiner Krise sehr geholfen. Er musste wissen, dass eine Frau bei ihm war.“
„Ich?“, fragte Anita zögernd, denn sie hatte deutlich gehört, dass er nicht ihren Namen geflüstert hatte.
Professor Strathern schüttelte den Kopf.
„Nina, seine Frau. Wahrscheinlich fühlt er sich für einen Teil ihrer Krankheit verantwortlich.
In dieser Nacht glaubte er, sie sei bei ihm. Ihretwegen tauchte er in das Bewusstsein zurück, ihretwegen wird er Kraft sammeln, um zu leben. Verstehen Sie das?“
„Nicht ganz, Doktor. Bitte sagen Sie mir alles, ich muss es wissen.“
„Gut.“ Strathern trank einen Schluck Kaffee.
„Da ist Nina, seine Frau. Er liebte sie sehr, liebt sie vielleicht noch immer. Dennoch gab es Zeiten, in denen er wünschte, sie sollte aus seinem Leben verschwinden. So entstand eine Schuldbarriere. An dieser Barriere stand er gestern Nacht. Er musste Nina finden, sie musste zu ihm kommen. Deshalb habe ich Sie an sein Bett gebeten.“
Der Arzt blickte Anita ernst an. „Er dachte, Sie sind Nina, mein Kind. Nun wird er völlig gesund werden, doch mit größter Wahrscheinlichkeit wird er vergessen haben, wer Sie sind und was Sie ihm bedeuteten.“
Anita atmete tief. Sie war müde und doch hellwach, fühlte sich sehr verwundbar.
„Sie meinen, wegen seines Schuldgefühls verbannt er mich nun aus seinem Leben?“
„Das ist eine Wahrscheinlichkeit, auf die Sie vorbereitet sein müssen“, warnte Strathern.
„Er hielt mich für Nina.“
Sie konnte es nicht in Worte fassen. Es war so verwirrend und schmerzlich.
„Erkennt er Sie nicht, wenn er Sie sieht“, erklärte der Professor weiter, „dann ist wenig Hoffnung, dass er sich an die Liebe zu Ihnen erinnert. Sie waren ein Teil seines Schuldgefühls, das er nun mit Ihrer Hilfe überwunden hat. Wenn er Sie nicht mehr als Anita identifiziert, sollten Sie nicht mehr so oft hierherkommen, weil Sie leiden würden, mein Kind.“
„Was soll ich tun?“, fragte sie verzweifelt. „Wohin soll ich gehen? Mein
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