Julia Exklusiv Band 0197
mehr oder weniger glaubhafte Schauergeschichten erzählte. Allmählich kamen andere Männer hinzu, und als Vassilous Sohn ein Tablett mit griechischem Mokka brachte, musste er sich einen Stuhl holen, um sich mit an den Tisch setzen zu können.
Isobel genoss es unendlich, mit diesen freundlichen und warmherzigen Menschen zusammenzusitzen und ganz selbstverständlich in das Gespräch einbezogen zu werden. Denn so erleichtert sie vor drei Jahren gewesen war, Leandros und alles, was sie an ihn erinnerte, hinter sich zu lassen, der Abschied von den gastfreundlichen Menschen war ihr unendlich schwergefallen.
Plötzlich meinte sie zu merken, dass sich hinter ihr jemand dem Tisch näherte. In der Annahme, die kleine Runde würde sich um einen Gast erweitern, sah sie sich nicht einmal um. Umso mehr erschrak sie, als ihr jemand unvermittelt die Hand auf die Schulter legte.
Auch ohne ihn zu sehen, wusste sie, dass Leandros sie aufgespürt hatte. Der Schock darüber war so groß, dass ihr beinah die Mokkatasse aus den Händen geglitten wäre. Die anderen Gäste schienen nicht weniger überrascht, denn das Gespräch verstummte, und die Blicke aller waren auf den Mann gerichtet, dem trotz seiner legeren Kleidung anzusehen war, dass er normalerweise in anderen Kreisen verkehrte.
„Kalimera“, begrüßte Leandros die Männer auf Griechisch. „Jetzt weiß ich endlich, warum meine Frau die Mittagspause so gern im Hafen verbringt. Wer würde sich durch einen solchen Kreis nicht geehrt fühlen?“
Der Versuch, an die Eitelkeit seiner Landsleute zu appellieren, war ein Erfolg. Zu ihrem Missfallen musste Isobel beobachten, dass die Männer lächelten und weitersprachen. Dabei heißt es immer, Frauen wären eitel, dachte sie ernüchtert und straffte sich, um die Tasse auf den Tisch zu stellen. Vor allem aber wollte sie damit Leandros’ Berührung entgehen. Doch so leicht ließ er sich nicht abschütteln. Vielmehr nutzte er die Gelegenheit, um ihr die Hand in den Nacken zu legen und sich vorzubeugen. Spätestens als sie seinen Atem auf der Wange spürte, wusste sie, was ihr bevorstand.
Leandros vertraute darauf, dass sie ihm vor so vielen Zeugen keine Szene machen würde. Als er sie auf die Wange küsste, verzog sie zwar unmerklich das Gesicht, ließ es aber widerstandslos geschehen. Noch mehr als die gänzlich unangebrachte Begrüßung irritierte sie die Reaktion ihrer Tischnachbarn. Offensichtlich hatten sie den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden, denn binnen weniger Sekunden stand einer nach dem anderen auf und zog sich diskret zurück.
Erst nachdem auch der Letzte an einem anderen Tisch Platz genommen hatte, setzte sich Leandros zu ihr. Er trug weder ein Jackett noch eine Krawatte, und die obersten Knöpfe seines Hemds waren geöffnet. Das gedämpfte Licht unter der Markise verlieh seinen Gesichtszügen eine Sanftheit, die so gar nicht zu dem knallharten Geschäftsmann passen wollte. Eher fühlte sich Isobel unwillkürlich an jenen unverschämt gut aussehenden jungen Mann mit dem verführerisch dunklen Teint erinnert, in den sie sich einst verliebt hatte.
„Hast du nichts Besseres zu tun, als mir nachzuspionieren?“, fragte sie betont unfreundlich.
„Ich wusste gar nicht, dass du so gut Griechisch sprichst“, sagte er leise. Der gequälte Ausdruck in seinen schönen dunklen Augen verriet jedoch, wie sehr ihr Sarkasmus Leandros verletzt hatte.
„Woher solltest du das auch wissen?“ Um sich ihre Verunsicherung nicht anmerken zu lassen, ging Isobel in die Offensive. „Du hast ja nicht einmal versucht, es mir beizubringen – wahrscheinlich weil du mich für zu dumm gehalten hast.“
„Für dumm habe ich dich nie gehalten“, wandte er ein.
„Umso besser“, ignorierte Isobel die kaum verhohlene Beleidigung. „Glücklicherweise dachten deine Landsleute genauso. Vielleicht entspricht mein Wortschatz nicht ganz deiner Vorstellung, aber schließlich waren meine Lehrer einfache Leute, mit denen du dich niemals abgeben …“
„Tu nicht so scheinheilig!“, fiel Leandros ihr schroff ins Wort. „Oder findest du es etwa fair, wenn jemand der eigenen Familie vorgaukelt, die Landessprache nicht zu beherrschen, obwohl er jedes Wort versteht?“
„Ganz fair ist es vielleicht nicht“, gab sie zu. „Aber so habe ich manches erfahren, was mir sonst sicher verborgen geblieben wäre.“
„Zum Beispiel?“
„Zum Beispiel, wie sehr mich deine Familie verachtet und den Tag herbeigesehnt hat, an dem du deinen Fehler
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