Julia Exklusiv Band 238 (German Edition)
wissen sollen? Aber worum auch immer es sich handelte, die Gefühle waren echt. Sie wusste es, weil sie sie auf eine Weise berührten, wie es Steve nie gelungen war. Er hatte sie zwar belogen und bestohlen, aber er hatte ihr Leben nicht von Grund auf erschüttert, wie Hanif es getan hatte.
Hanif al-Khatib hatte ihr Herz erobert, und egal was die Zukunft brachte, ihr Leben würde nie wieder so sein wie vorher.
Allerdings musste sie sich selbst schützen, sie musste so tun, als sei nichts geschehen. Als sei ihre Welt nicht soeben in einem Regenbogen bunter Farben explodiert. Als könne sie den Duft der Rosen und Zypressen mit einem Mal nicht viel deutlicher riechen.
„Wir können unserer Vergangenheit nicht entfliehen“, sagte sie mit zitternder Stimme. „Wir können nur versuchen, für die Zukunft Lehren daraus zu ziehen.“ Sie atmete tief durch, nahm ihre ganze Willenskraft zusammen und küsste Hanif leicht auf die Stirn, um sich dann aus seiner Umarmung zu befreien und auf das Sofa sinken zu lassen.
Einen kurzen Moment lang sah er sie überrascht an, dann schien ihm auf einmal bewusst zu werden, was er getan hatte. Er drehte sich um, trat ans Fenster und blieb dort mit dem Rücken zu ihr stehen.
Als er sich wieder zu ihr umwandte, war sein Gesicht ausdruckslos. „Es tut mir leid“, sagte er. „Ich kann gar nicht ausdrücken, wie leid es mir tut.“
„Bitte, Hanif. Es ist schon in Ordnung.“ Sie wusste, dass er sich dafür entschuldigte, dass er sie geküsst hatte. Sie verstand es, aber es tat trotzdem weh.
„Ich werde auf der Stelle veranlassen, dass du nach Rumaillah gebracht wirst, um dort bei meiner Mutter zu wohnen.“
„Das ist nicht nötig, Hanif.“ Obwohl es genau das war, worauf sie die letzten Tage gewartet hatte, wollte sie nicht auf diese Weise gehen. Nicht, solange Hanif sich Vorwürfe machte, dass er sie geküsst hatte. Außerdem befürchtete sie, dass er ihre Abreise als Vorwand nutzen würde, um auch Ameerah zurückzuschicken, und das wollte sie nicht zulassen.
Er hatte seine Tochter im Arm gehalten, das war immerhin ein Anfang. Wenn er sie jetzt fortsandte, war alles umsonst gewesen.
„Ich würde lieber hierbleiben, bis Zahir meine Papiere besorgt hat“, erklärte sie. „Und bis ich wieder besser laufen kann.“
Hanif betrachtete die Frau, die vor ihm saß. In einer anderen Welt würde er sich neben sie legen und das zu Ende bringen, was sie soeben begonnen hatten. Sie würden sich im Mondlicht lieben, sich gegenseitig Gedichte vorlesen und zusammen essen und trinken. Die ganze Welt würde etwas werden, was er nicht mehr für möglich gehalten hatte: ein Ort des Versprechens und der Verheißungen.
In der wirklichen Welt jedoch gehörte Lucy Forrester einem anderen Mann.
Als er vor einigen Tagen in die Wüste geflohen war, hatte er geglaubt, dass es die Erinnerung an Noor war, vor der er davonlief. Doch dann war ihm klar geworden, dass es Lucy war, die ständig in seinen Gedanken war, Tag und Nacht.
Er war mit dem festen Entschluss zurückgekehrt, Lucy bei seiner Mutter unterzubringen oder vielleicht Jamilla zu fragen, ob sie sich um seinen Gast kümmern könnte. Das hätte er von Anfang an tun sollen.
Aber konnte er sie einfach fortschicken, nur weil ihre Gegenwart ihn belastete? Nach allem, was er Noor angetan hatte, geschah es ihm nur recht, dass sein Gewissen ihn quälte.
„Zahir wird die erforderlichen Papiere bestimmt bald besorgt haben“, versicherte er Lucy, obwohl er eigentlich keine Ahnung hatte, ob das der Wahrheit entsprach. Er hatte seit Tagen nicht mit Zahir gesprochen.
„Würdest du mir bitte die Krücken reichen?“, bat Lucy. „Ich muss mich unbedingt duschen.“
„Aber deine Sandalen sind vollkommen ruiniert“, gab er zu bedenken. „Ich werde den Rollstuhl holen.“
„Na gut, dann hole ich sie mir eben selbst“, entgegnete sie, schlüpfte in die feuchten und schlammigen Sandalen und erhob sich mühsam. Sie schwankte, als sie endlich stand.
Hanif legte den Arm um ihre Taille, um sie zu stützen. Dann sah er ihr in die Augen und sagte: „Ich hätte dich nicht küssen dürfen.“
„Nein“, stimmte sie ihm zu, „aber ich hätte dich ebenfalls nicht küssen dürfen. Warum vergessen wir nicht einfach, dass es passiert ist?“ Damit löste sie sich aus seinem Arm und machte einen schwankenden Schritt in Richtung der Krücken.
Hanif fragte sich, wie er einen Kuss vergessen sollte, der für einen kurzen Augenblick lang die Welt um ihn herum in
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