Julia Exklusiv Band 238 (German Edition)
Studium eine Laufbahn als Diplomat eingeschlagen und schon nach wenigen Jahren eine Karriere vorweisen können, die seiner Familie und seinem Land Ehre machte.
In Lucys Augen erklärte das eine Menge. Wenn man immer nur die Sonnenseite des Lebens kennengelernt hatte, war es im Schatten auf einmal bitterkalt. Wer immer perfekt gewesen war, dem fiel es schwer, sich selbst die kleinsten Fehler zu verzeihen.
Die beiden Frauen saßen im Schatten des Gartenhauses und unterhielten sich, während Ameerah am Ufer des Teichs spielte und Schmetterlingen hinterherjagte.
Fathia hatte gerade von Noor gesprochen, und Lucys Blick wanderte unwillkürlich zu Ameerah hinüber. Das Kind sprang gefährlich nahe am Ufer umher, und gerade als Lucy ihm etwas zurufen wollte, geschah das Unvermeidliche.
„Ameerah!“
Das Mädchen hatte sich zu weit vorgebeugt, das Gleichgewicht verloren, und war zwischen den Seerosen versunken.
Bevor Fathia sich erhoben hatte, war Lucy bereits zum Teich gelaufen und ins Wasser gewatet, wobei sie den Saum ihres Seidenkleides anhob, damit er nicht nass wurde. „Kannst du nicht aufpassen, Ameerah? Das hast du doch mit Absicht getan! Sieh nur, wie dein Kleid aussieht! Ich glaube, wir sollten dir in Zukunft lieber ein T-Shirt und kurze Hosen anziehen. Komm, gib mir die Hand!“
Ameerah, die in dem flachen Wasser mühelos stehen konnte, kicherte nur ausgelassen und bewegte sich noch weiter in die Mitte des Teichs hinein.
Lucy, die ins Wasser gestiegen war, ohne an ihren Knöchel zu denken, begriff zu spät, dass es um sie herum nichts gab, auf das sie sich hätte abstützen können, und dass ihre Füße langsam in dem schlammigen Boden des Teichs versanken.
Was nun geschah, schien sich wie in Zeitlupe abzuspielen. Lucy öffnete den Mund, um zu schreien, doch der plötzlich einsetzende Schmerz war so stark, dass es ihr die Sprache verschlug. Dann knickte sie um und sah nur noch, wie sich die blaue Seide ihres Kleides bauschte, während sie selbst immer tiefer im Wasser versank.
Ameerah schrie und klammerte sich an sie.
„Ist ja schon gut“, tröstete Lucy das Kind und wollte sich gerade an Fathia wenden, damit diese ihr und Ameerah aus dem Wasser half. Doch stattdessen erblickte sie Hanif, der durch das Wasser auf sie zukam. Hanif in dunkler und staubiger Kleidung und mit einem Tuch um den Kopf gebunden …
Ganz ruhig, ermahnte Lucy sich, vergiss nicht zu atmen. Doch der Schmerz war zu stark, und für einen Augenblick hatte sie das Gefühl, sie müsse ohnmächtig werden.
„Nicht bewegen“, warnte Hanif und bot ihr seine Schulter als Stütze, sodass sie ihr Körpergewicht wieder ganz auf ihren gesunden Fuß verlagern konnte. Seine Stimme war sanft, und auf einmal war sein Gesicht alles, was Lucy noch wahrnehmen konnte. Die Welt schien stillzustehen, während sie in seine dunklen Augen blickte.
Dann drang Fathias aufgeregte Stimme an ihr Ohr. Lucy, die das Gefühl hatte, als habe die ältere Frau schon eine ganze Weile gerufen, deutete auf das Kind, das sich immer noch an Lucy klammerte, und fragte Hanif: „Könnten Sie sich bitte zuerst um Ameerah kümmern?“
Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, ehe er sich bückte und die Kleine hochhob. Auf Armeslänge hielt er das tropfende Kind von sich entfernt und betrachtete es unverwandt.
Nicht so, dachte Lucy verzweifelt. Er sollte das Kind in den Arm nehmen und an sich drücken!
Als hätte Hanif sie gehört, zog er Ameerah zögernd an sich und legte dann beschützend einen Arm um sie, während er zum Ufer des Teiches watete. Dort drückte er das Kind der wartenden Fathia in die Arme.
Anschließend kehrte er zu Lucy zurück.
„Mich zu retten wird allmählich zu einer Vollzeitbeschäftigung für Sie“, scherzte sie.
„Ich habe nichts dagegen“, erwiderte er galant und hob sie dann mit der gleichen Leichtigkeit hoch, mit der er Ameerah getragen hatte.
Lucy versuchte verzweifelt, die ungewohnte Nähe zu ignorieren sowie die Tatsache, dass ihre feuchte Kleidung wie eine zweite Haut an ihrem Körper klebte. „Glauben Sie mir, ich bin wirklich dankbar, dass ich nicht auf allen vieren aus dem Teich kriechen muss.“
„Aber Sie hätten es ohne Zweifel geschafft“, antwortete er. „Sie zu retten ist eine Kleinigkeit. Mich dagegen zu retten erweist sich als wesentlich schwieriger.“
Sprach er etwa von Ameerah? Und von der Tatsache, dass er sich überwunden hatte, sie in den Arm zu nehmen?
Dann wurde ihr auf einmal bewusst, dass er im Begriff
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