Julia Extra 0353
glitt durch die Kanäle, mal rechts, mal links herum, und Raoul empfand das sanfte Schwanken des Boots als seltsam tröstlich.
„Erzähl es mir.“
Er schwieg einen Moment. „Ich hätte es kommen sehen müssen“, sagte er schließlich. „Wie du weißt, war sie eine weltberühmte Balletttänzerin. Aber sie war am Ende ihrer Karriere angelangt und sehnte sich noch immer verzweifelt nach der Bewunderung des Publikums. Sie war den Jubel von Menschenmengen gewohnt. Ich hätte wissen müssen, dass ihr die Bewunderung eines einzigen Mannes niemals reichen würde. Und anscheinend wusste wirklich jeder außer mir von dem geheimen Zimmer. Ich denke, am Ende hat sie mich sogar dafür gehasst, dass ich nichts mitbekommen habe. Und als ich es dann endlich herausgefunden hatte, war ich so unglaublich wütend. Sonst wären sie vielleicht nicht beide in den furchtbaren Sturm hinausgeflohen. Sie sind vor mir geflohen! Manuel hätte ich nicht retten können. Es war nicht meine Schuld, dass das alte, rostige Geländer abgebrochen ist – aber Katia …“
Er schloss die Augen. „Sie hat geweint und geschrien, so gequält, und ich konnte mich einfach nicht vom Fleck rühren! Und dann war es zu spät …“
Er fühlte, wie Gabriella ihre Hand zwischen seine Finger schob. Überrascht öffnete er die Augen. Sie lächelte ihn traurig an. „Du weißt nicht, ob du sie überhaupt hättest rechtzeitig erreichen können.“
Er schüttelte den Kopf. „Das ist mein Fluch. Ich werde es niemals wissen.“
„Hattest du deshalb Angst, dass du mich nicht beschützen kannst?“
„Wie könnte ich irgendjemanden beschützen? Wie könnte ich mir jemals wieder selbst vertrauen?“
„Aber du hast mich gerettet, Raoul. Hast du das schon vergessen? Du hast mich rechtzeitig zurückgezogen. Ohne dich wäre ich aus dem Fenster gefallen. Du hast mich gerettet, Raoul.“
Er schüttelte den Kopf. „Ohne mich wärst du gar nicht erst rausgefallen. Nur meinetwegen hast du dich überhaupt umgedreht. Wenn ich nicht gekommen wäre …“
„Ich hätte fallen können. Aber du hast mich gerettet.“ Sie nickte. „Jetzt verstehe ich endlich, wenigstens teilweise.“
„Was meinst du damit?“
„In den letzten zwei Monaten habe ich sehr viel über unsere gemeinsame Zeit nachgedacht. Ich wollte irgendwie begreifen, was passiert ist. Aber es gibt immer noch so vieles, was ich nicht ganz verstehe. Damals in Paris, als du mich in ein Taxi gesetzt hast, wolltest du da vor deinem Versprechen weglaufen?“
„Ich wollte dir nicht wehtun. Ich hatte gehofft, es könnte einen anderen Weg geben, dich in Sicherheit zu bringen. Aber das ging dann plötzlich nicht mehr.“
„Weil ich am nächsten Morgen in dein Hotel gekommen bin?“
Er nickte. „Du wolltest ausgerechnet meine Hilfe, um Garbas zu verteidigen. Ich musste dich irgendwie aus Paris hinausbekommen.“
„Und darum hast du mich nach Venedig gebracht, verführt und davon überzeugt, dich zu heiraten.“
„Bella, ich bin wirklich nicht stolz darauf.“
„Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, was du getan hast. Oder jedenfalls nicht, warum du es getan hast.“
Er runzelte die Stirn und versuchte, ihre rätselhafte Aussage zu verstehen. Aber sie vermied seinen Blick und betrachtete anstelle dessen den Sonnenuntergang. „Consuelos Anwälte haben mich unzählige Male angerufen.“
„Was wollten sie?“
„Geld. Letzte Woche bin ich fünfundzwanzig geworden. Consuelo dachte, ich wollte vielleicht für seine Verteidigungskasse spenden.“
„Was hast du ihnen gesagt?“
„Dass ich Besseres mit meinem Geld zu tun weiß. Du hattest recht, er wollte mich wie eine Weihnachtsgans ausnehmen.“ Endlich sah sie ihn an. „Ich habe das Krankenhaus besucht, das Consuelo mit seiner Stiftung finanziert hat. Ich habe ein Gespräch mit dem Klinikdirektor geführt und ihm angeboten, eine neue Stiftung für die krebskranken Kinder einzurichten. Aber er hat mir gesagt, dass sich bereits jemand mehr als großzügig darum gekümmert hat.“
Sie zögerte, und Raoul sah, dass Tränen in ihren Augen schimmerten. „Das warst du, Raoul. Du hast die Stiftung weitergeführt und die Behandlung der Kinder gesichert.“ Die untergehende Sonne ließ goldene Lichter in ihre Augen tanzen.
„Ich habe mich verantwortlich gefühlt.“
Jetzt rollten die Tränen über ihre Wangen. „Zwei Monate lang habe ich nach einem Grund gesucht, dich zu hassen. Ich wollte glauben, du hättest kein Herz, aber jede einzelne
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