Julia Extra 0357
sie beruhigt sterben.
Nachdem seine Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen war und sein Vater daraufhin zum Trinker wurde, war Thomas bei seiner Großmutter aufgewachsen. Mit acht Jahren hatte er praktisch beide Eltern verloren. Nana Jo hatte sich ihres Enkels sofort angenommen, statt ihren Ruhestand zu genießen. Sie war immer für ihn da gewesen und hatte wirklich ausgezeichnete Arbeit bei seiner Erziehung geleistet. Wie konnte er ihr da ihren Herzenswunsch abschlagen? Also hatte er zu einer Notlüge gegriffen, obwohl er sonst ein grundehrlicher Mensch war, und Nana Jo freudestrahlend erzählt, er hätte eine ganz besondere Frau kennengelernt.
„Wir sind jetzt seit mehreren Monaten zusammen, Nana Jo.“
Diese Nachricht hob ihre Stimmung sofort. Seine Großmutter wusste nämlich, dass er bisher jede Beziehung nach spätestens drei Monaten beendet hatte. Wenn dieser Zeitpunkt gekommen war, stellten die meisten Frauen nämlich Forderungen. Sie wollten einen Haustürschlüssel haben, ihre Zahnbürste in Thomas’ Badezimmer deponieren und beanspruchten ein eigenes Fach in seinem Schlafzimmerschrank.
Nach drei Monaten fingen die Frauen an zu klammern. Und auf das L-Wort hofften sie auch.
Liebe? Nein, danke!
Er hatte mit eigenen Augen ansehen müssen, was dieses Gefühl mit seinem Vater angerichtet hatte. Siebenundzwanzig Jahre waren seit dem Tod von Thomas’ Mutter vergangen, doch Hoyt Waverly konnte das Leben als Witwer noch immer nur mithilfe eines großzügigen Quantums Whisky ertragen. Mit den Jahren griff er zu immer preiswerteren Marken, weil seine Einkünfte zurückgegangen waren. Natürlich hatte seine Gesundheit Schaden genommen. Hoyt war inzwischen nur noch ein Schatten seiner selbst und tauchte nur selten bei Thomas auf. Eigentlich nur, wenn er pleite war.
Thomas hatte nicht vor, wie sein Vater zu enden. Deshalb beendete er jede Beziehung rigoros nach Ablauf von drei Monaten.
Nun war Thomas nicht unbedingt der Traummann schlechthin, besaß jedoch ein gesundes Selbstbewusstsein und sah gut aus. Jedenfalls wurde ihm das immer wieder von Frauen versichert, mit denen er sich verabredet hatte. Und sein Einkommen konnte sich auch sehen lassen. Zum Millionär hatte er es nur deshalb noch nicht gebracht, weil er sein Privatvermögen größtenteils in die Firma investiert hatte.
Was die Frauen seiner Meinung nach wirklich an ihm schätzten, waren nicht sein Aussehen, sein Kontostand und – sehr zu seinem Bedauern – auch nicht sein Talent als Liebhaber, sondern seine Umgangsformen. Nana Jo hatte schon immer viel Wert darauf gelegt, dass ihr Enkel höflich, ritterlich und zuvorkommend war und sich interessiert an Meinung und Hobbys seiner Mitmenschen zeigte, auch wenn ihn das noch so langweilte. Nicht zuletzt diesen Eigenschaften war es zuzuschreiben, dass immer mal wieder eine Frau angedeutet hatte, sie hätte nichts gegen eine Heirat einzuwenden.
Doch dafür stand Thomas nicht zur Verfügung. Niemals!
Während der vergangenen Monate hatte Nana Jo allerdings neue Hoffnung geschöpft, ihr Enkel werde seine Meinung nun doch bald ändern. Seine Beziehung dauerte schon wesentlich länger als drei Monate. Er musste es also ernst meinen.
Thomas hätte ihr längst die Wahrheit gesagt, wenn seine Großmutter weniger enthusiastisch reagiert hätte. Doch sie kannte kein anderes Thema mehr als die vermeintlich bevorstehende Hochzeit. Er brachte es einfach nicht übers Herz, Nana Jo zu enttäuschen. Daher wich er bei den Telefongesprächen mit ihr diesem Thema, so gut es ging, aus. Leider ließ sie sich nicht beirren, und so spann er den Faden immer weiter und hatte inzwischen sogar einen Namen für seine Zukünftige: Beth.
Ihm war schleierhaft, wie er ausgerechnet darauf gekommen war. Vielleicht fand er, Beth wäre der richtige Name für die vernünftige und liebreizende Frau, die – so glaubte seine Großmutter – sein Herz erobert hatte.
Sein Bemühen, Nana Jo eine Freude zu machen, hatte Thomas nun in ernste Schwierigkeiten gebracht, denn sie bestand darauf, seine Verlobte kennenzulernen und wurde langsam ungeduldig. Sie hatte sogar gedroht, zu ihm zu fahren, wenn er am Nationalfeiertagswochenende nicht mit Beth bei ihr auftauchen würde.
Die Vorstellung, seine Großmutter könnte sich in ihrem alten Cadillac DeVille tatsächlich auf die lange Fahrt gen Süden aufmachen, versetzte ihn in Panik. Das war viel zu gefährlich für die alte Dame.
Und wenn er ihr den Schwindel nun doch beichtete?
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