Julia Extra 0357
geschoben hatte. Diese wunderbare alte Dame dachte wirklich an alles!
Elizabeth schlüpfte in dunkelblaue Shorts und eine ärmellose weiße Bluse, griff nach ihrer Kulturtasche und machte sich auf den Weg ins Bad. Aromatischer Kaffeeduft stieg ihr auf dem Flur in die Nase. Thomas lag noch schlafend auf dem Sofa – nur bekleidet mit Boxershorts und weißem T-Shirt, das hochgerutscht war. Die Bettdecke hatte er weggestrampelt. Elizabeth erhaschte einen Blick auf den durchtrainierten Bauch und war so fasziniert, dass sie gar nicht hörte, wie Nana Jo sich auf Zehenspitzen näherte und erschrak, als die alte Dame flüsterte: „Mein Mann hatte auch so eine gute Figur.“
„Ich … ich wollte nur eben ins Badezimmer“, stammelte Elizabeth ertappt.
Nana Jo kicherte vergnügt. „Vielleicht hilft eine kalte Dusche“, raunte sie.
Oder habe ich mir das nur eingebildet?, überlegte Elizabeth und verschwand schnell im Bad.
Am Nachmittag stand eine Besichtigungstour auf dem Programm, weil es ja ihr erster Besuch in Charlevoix war. Da die Stadt nur so von Touristen wimmelte, war eine Unterhaltung mit Thomas und seiner Großmutter kaum möglich. Zum Glück, dachte sie, denn ihre Gefühle fuhren Achterbahn, und es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Zumal Thomas die ganze Zeit über mit ihr Händchen hielt. Und wenn er ihr höflich eine Tür öffnete, legte er jedes Mal locker den Arm um Elizabeths Taille. Jeder Körperkontakt entfesselte stärkere Sehnsucht. Schon bald wusste Elizabeth nicht mehr, was gespielt und was echt war.
Sie hatte sich so fest vorgenommen, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben, doch ihre Gefühle befanden sich in einem regelrechten Höhenrausch.
Thomas spielte den verliebten Bräutigam in spe aber auch sehr überzeugend. Legte er sich wirklich nur um seiner Großmutter willen so ins Zeug? Wer wäre bei dieser Charmeoffensive auf die Idee gekommen, dass dieser Mann sich geschworen hatte, niemals eine feste Beziehung einzugehen?
Elizabeth dagegen sehnte sich nach einer glücklichen Ehe und zwei Kindern. Den Familienhund hatte sie ja bereits. Sie wollte eine dauerhafte Beziehung in gesicherten Verhältnissen. Das Herumvagabundieren ihrer Kindheit kam für sie nicht infrage. Das einzig Positive daran war gewesen, dass ihre Eltern einander anbeteten.
Bei Thomas würde sie das nicht finden. Er fand sie sympathisch, war vielleicht sogar einer Romanze mit ihr nicht abgeneigt, doch zu mehr war er nicht bereit. Daraus hatte er von Anfang an keinen Hehl gemacht. Er beendete eine Beziehung, sobald sie „kompliziert“ wurde. Sie wäre also gut beraten, ihre Gefühle im Zaum zu halten.
Doch als sie Hand in Hand mit ihm bei strahlendem Sonnenschein durch Charlevoix schlenderte, ertappte sie sich immer wieder bei dem Wunsch, dies wäre kein Spiel, sondern Wirklichkeit. Denn Thomas Waverly war einfach perfekt für sie. Und in seiner Nähe wurde ihr das Gefühl vermittelt, selbst auch perfekt zu sein.
„Hier würde ich nachher gern mit euch zu Abend essen“, sagte Nana Jo und blieb vor einem Restaurant mit hellroten Flügeltüren stehen. In einem Schaukasten daneben befand sich die Speisekarte. „Seht euch doch mal kurz drinnen um und erzählt mir, ob es euch zusagt.“
„Ich bin schockiert, dass du nicht selbst für uns kochst“, antwortete Thomas im Spaß. „Gestern war ich ja für die Hamburger zuständig, da dachte ich, heute erwartet mich endlich mal wieder mein Lieblingsessen.“
Nana Jo runzelte die Stirn und wandte sich fragend Elizabeth zu. „Kannst du nicht kochen, Beth?“
Oje, wieder eine Klippe, die es zu umschiffen galt. „Doch, ziemlich gut sogar.“
„Ja?“
Vor einigen Jahren habe ich sogar mal einen sechswöchigen Kochkurs an der Volkshochschule belegt. Ich hatte einfach genug von der ewigen Tiefkühlkost. Von Fast Food ganz zu schweigen.“
„Kluges Kind.“ Lobend tätschelte Nana Jo ihr die Wange.
„Leider kommt sie kaum dazu, mal für uns zu kochen“, erklärte Thomas geistesgegenwärtig. „Mal sind unsere Arbeitszeiten nicht miteinander vereinbar, mal ist sie zu erschöpft, um sich nach einem langen Tag im Büro noch in die Küche zu stellen.“
„Im Büro? Hattest du nicht erzählt, Beth arbeitet bei einer Bank, Tommy? Und wieso nennst du sie eigentlich Elizabeth? Das wollte ich gestern schon fragen.“
„Vielleicht hat er mich mit einer seiner zahlreichen Exfreundinnen verwechselt“, mutmaßte Elizabeth zuckersüß und verdrehte die Augen.
Nana Jo
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