Julia Extra 0357
sie darum zu bitten. „Versuchen Sie es.“
Es gelang ihm nicht, bis sie die Finger auf seine legte und ihn führte. Für ihr seelisches Gleichgewicht war es eine Katastrophe, doch sehr wirkungsvoll, um ihm die Fingerstellung beizubringen. Bis der Alarm seiner Armbanduhr sie an das Ende der Stunde erinnerte, konnte er das Stück recht passabel spielen. Cass hingegen war nur noch ein Nervenbündel – was sie allerdings hinter der Maske der Meisterpianistin kaschierte.
„Es gibt Übungen, um die Finger zu trainieren“, sagte sie, ohne aufzuschauen. „Aber Sie zu bitten, zwischen den Stunden zu üben, wäre wohl vergebliche Mühe.“
Er zuckte mit einer Schulter. „Ich habe hier mehr Spaß als erwartet.“
„Das freut mich zu hören.“ Sie lächelte. „Musik ist Balsam für die Seele.“
„Manchmal kann sie es sein.“ Er stand auf. „Ich kann nicht versprechen, ob ich üben werde, aber ich werde mir ein Klavier anschaffen. Meine Assistentin wird Sie anrufen und um eine Empfehlung bitten.“
Neos Assistentin rief an, aber nicht wegen einer Kaufempfehlung, sondern um den Termin in der nächsten Woche abzusagen. Neo würde nicht in Seattle sein.
„Bitte erwähnen Sie das niemandem gegenüber. Es könnte zu Spekulationen führen, die den momentan laufenden Geschäftsverhandlungen schaden.“ Der Ton der Frau besagte eindeutig, dass, wäre es nach ihr gegangen, Cass keine Erklärung für die Absage erhalten hätte.
Neo sah das offensichtlich anders. Cass lächelte vor sich hin, während sie ernst versprach, nichts zu verraten.
Unglückseligerweise war die Presse zwar nicht über Neos Abwesenheit informiert, aber offensichtlich waren seine wöchentlichen Besuche bei ihr inzwischen bekannt geworden. Am Dienstagmorgen weckte das Zuschlagen von Autotüren und lautes Stimmengewirr Cass auf. Eigentlich war die Straße, in der sie wohnte, sehr ruhig. Sie eilte zum Fenster und lugte vorsichtig durch den Vorhang, als es auch schon aufdringlich an der Haustür klingelte.
Drei große Kamerawagen und zwei Autos parkten vor ihrem Haus. Die Hausklingel schrillte weiter, während Cass sich hastig anzog. Sie würde die Leute einfach ignorieren. Sie stand nicht mehr im Licht der Öffentlichkeit. Die Medien hatten hier nichts verloren.
Da hämmerte es lautstark gegen die Balkontür ihres Schlafzimmers. Cass schrie gellend auf. Der Verstand sagte ihr, dass es nur ein findiger Reporter war, der auf den Balkon geklettert war, doch die Panik ließ sich vom Verstand nicht eindämmen.
Sie griff nach dem Telefon auf dem Nachttisch und wählte die Nummer ihres Agenten. Als sie Bob stockend berichtete, was sich vor ihrem Haus zutrug, sagte er nur, sie solle sich beruhigen. So etwas sei schließlich die beste Promotion für ihre CDs.
Cass widersprach nicht. Sie hatte Mühe, sich vor Angst nicht zu übergeben. Sie unterbrach die Verbindung und wählte Neos Nummer. Nur der Anrufbeantworter meldete sich. Sie hinterließ eine Nachricht, ohne genau zu wissen, was sie überhaupt sagte.
Es klingelte unablässig an der Haustür, das Hämmern an der Balkontür hörte auch nicht auf. Völlig verstört zog Cass sich ins Badezimmer zurück, verschloss die Tür und kauerte sich zitternd hinter die altmodische Zinkbadewanne.
So zusammengerollt saß sie immer noch da, als es an der Badezimmertür klopfte.
„Cassandra! Bist du da drinnen? Mach die Tür auf, pethi mou . Ich bin’s, Neo.“
Neo war nicht in der Stadt, das hatte seine Assistentin gesagt. Cass schüttelte wild den Kopf. Schweißtropfen liefen an ihren Schläfen herab.
Jemand rüttelte am Türknauf. „Cassandra, öffne die Tür.“
Trotzdem, das war Neos Stimme … Cass hasste diese Panikattacken, aber noch mehr hasste sie es, sich anderen in diesem Zustand zu zeigen. Andererseits sagte ihr der Verstand auch, dass sie die Tür öffnen sollte.
Das nächste Klopfen kam leise und sacht, und so war auch Neos Stimme. „Bitte, Kleines, schließ die Tür auf.“
Sie zwang ihre verkrampften Muskeln, ihr zu gehorchen, und rappelte sich auf. „Ich komme“, krächzte sie.
„Danke.“
Sie streckte die Hand aus, drehte den Schlüssel um und zog die Tür auf. Neo stand davor, ohne Jackett und mit grimmiger Miene. Er schien vollkommen außer sich zu sein.
Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Ich … sie … irgendjemand hat den Medien die Dienstagsstunden gesteckt.“
„Ja.“
„Ich dachte, sie würden gewaltsam ins Haus eindringen.“
„Es ist gut, dass
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