Julia Extra 260
sein. Ich schätze, wir müssen heiraten.“
Maggies Lächeln verschwand, ihr stockte der Atem, und das Herz tat ihr in der Brust weh. Allein durch die Angst auf diesem Boot war sie emotional und empfindlich, kilometerweit entfernt von der Küste, und so fiel es ihr umso schwerer, die Tränen zurückzuhalten. Schnell drehte sie sich weg.
Aber er hatte es gesehen, trat zu ihr und legte ihr den Arm um die Schultern. „Hey. Was ist denn los?“
Sie schaute hinaus aufs Wasser und schüttelte nur den Kopf. „Schon gut. Es ist nur das Boot.“
„Bist du sicher?“ Seine Stimme war sanft, beruhigend. „Du kannst es mir doch erzählen.“
Jetzt nickte sie und klammerte sich an der Reling fest. „Ich hasse Boote einfach, das ist alles. Und ich kann nicht schwimmen.“
„Du kannst nicht schwimmen?“
„Nein.“ Sie lächelte vorsichtig. „Mein Bruder Colin hat mich von einem Boot geschubst, als ich sechs war. Ich wäre fast ertrunken, und seitdem halte ich mich vom Wasser fern“, gestand sie.
Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. „Du hättest es sagen sollen.“ Er nahm sie in den Arm und klemmte ihren Kopf unter sein Kinn. „Wir hätten das Interview doch auch an Land drehen können.“
„Nein. Joe wollte es auf dem Boot haben, und ich liefere immerdas, was verlangt wurde, wie du weißt.“
„Auch wenn du nicht willst, was?“
„Ja, sicher, das ist unser Beruf, nicht wahr?“
Er drückte sie fester an sich. „Manchmal lohnt sich der Aufwand aber nicht, nämlich dann, wenn man dafür leidet.“
„Aber manchmal muss man eben über seinen Schatten springen, damit es authentischer wird, glaubwürdiger.“
Sie schämte sich. Wie konnte sie sich nur so anstellen, wegen eines bisschen Seegangs auf einem Boot, während er schon mehr als ein Dutzend Mal sein Leben riskiert hatte?
Sean hatte immer noch nicht viel über die Jahre in den Krisengebieten gesprochen. Jedes Mal, wenn das Thema auch nur ansatzweise aufkam, bekam er diesen Ausdruck, als ließe erVorhänge herunter, um sich von der Welt abzukapseln. Es war auch diese Verletzlichkeit, von der sie sich immer mehr angezogen fühlte. Ganz oft spürte sie einen Ruck in ihrem Herzen, der ihr sagte, sie müsse sich um ihn kümmern, ihm Trost zusprechen. Je enger ihre Freundschaft wurde, desto näher fühlte sie sich ihm.
Maggie atmete tief durch, und seine Brust an ihrem Gesicht, die sich hob und senkte, hatte eine beruhigende Wirkung auf sie. Es war gut, ihm so nahe zu sein, wenn auch nur für einen kurzen Moment.
„Du hättest es mir trotzdem erzählen können.“
„Es ist keine große Sache. Ich bin schon wieder okay.“
Sean dachte nicht daran, sie loszulassen. „Ich werde dich festhalten.“
Sie lächelte. „Versprochen?“
„Versprochen“, bestätigte er. Er schmiegte seine Wange an ihr weiches Haar und sog ihren Duft ein. Er könnte sie für immer halten, wenn sie ihn nur ließe. „Schau mal, ich kann die Anlegestelle schon sehen.“
Maggie drehte den Kopf, und tatsächlich war die Kaimauer erkennbar, an der sich die Wellen brachen. Und zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sie sich, noch ein wenig länger auf dem Wasser zu bleiben, und kuschelte sich wieder an seine Brust. „Sag mir Bescheid, sobald wir kurz davor sind, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.“
Als sie in den ruhigeren Bereich des Hafens einfuhren, wurde ihr tief im Inneren klar, dass sie eigentlich gar keine Angst mehr hatte – jedenfalls nicht, solange Sean sie festhielt. Er sollte sienie wieder loslassen.
Doch schon waren sie an der Anlegestelle, und die Besatzung machte den Kutter fest. Zögernd wand sich Maggie aus Seans Armen, strich sich die Haare aus dem Gesicht und schaute ihn etwas unsicher an. „Tja, endlich wieder sicher an Land.“
Sean betrachtete sie aufmerksam, um den Ausdruck in ihren Augen zu deuten. „Warte, ich gehe zuerst und helfe dir dann.“
Maggie sah ihm dabei zu, wie er geschickt mit seiner Kamera vom Boot auf den Steg kletterte und sich ihr dann lächelnd wieder zuwandte.
Sie lächelte zurück. Es würde wirklich schwer werden, jemand wie Sean zu finden.
Wen belog sie eigentlich? Gleichgültig, was für einen tollen Typen auch immer sie auf irgendwelchen Flirtseiten im Internet kennenlernen sollte – er würde nicht sein wie Sean. Damit würde sie leben müssen. Und ihre Erwartungen herunterschrauben.
Sie reichte ihm ihre Hand, und er umschloss sie mit seiner. Wie sicher und warm sich das anfühlte! Und ehe
Weitere Kostenlose Bücher