Julia Extra 360
in Ordnung mit dir?“
„Was sollte denn nicht in Ordnung mit mir sein?“ Sie gab sich betont lässig.
Mit einem Finger strich er über die Schlaffalten auf ihrer Wange. „Habe ich dir wehgetan? Die letzte Nacht war ziemlich wild, nicht wahr?“
Noch immer sah sie ihn nicht an, aber immerhin bekamen ihre Wangen wieder Farbe, als sie errötete. „Nein, du hast mir nicht wehgetan.“
Sacht zog er ihr Kinn zu sich herum. „Und noch immer ist es nur Sex?“
„Ja, sicher“, gab sie hochmütig zurück. „Was sonst sollte es sein?“
Er musterte sie gründlich, zeichnete mit der Fingerspitze die Konturen ihrer Lippen nach. „Lügnerin. Es war nie nur Sex für dich, nicht wahr, cara ?“
Abrupt stand sie auf, zog den Bademantel über, verknotete resolut den Gürtel. Die Lippen hielt sie fest zusammengepresst, so als würde sie sich selbst nicht trauen, als könne ihr Mund eine Antwort geben, die sie gar nicht geben wollte. Mit einem vernichtenden Blick auf ihn drehte sie sich um und stolzierte durch das Zimmer.
„Wohin gehst du?“, fragte er.
„Duschen.“ Sie funkelte ihn an. „Natürlich nur, wenn es erlaubt ist. Muss ich erst deine Einwilligung einholen?“
Emilio sah ihr mit gerunzelter Stirn nach. Ehrlich gesagt, so langsam hatte er ihre Spielchen leid. Im einen Moment stöhnte sie lustvoll in seinen Armen, im nächsten verhielt sie sich, als könnte sie es gar nicht abwarten, bis der Monat endlich vorüber war. Er wünschte sich, ihre Beziehung würde sich einspielen und nicht ein konstantes Minenfeld bleiben. Er wollte die Vergangenheit hinter sich lassen; das Leben ließ einem keine andere Möglichkeit, als nach vorn zu schauen.
„Tu, was du willst.“ Er schlug die Bettdecke zurück und stand auf. „Wir sehen uns unten.“
Als Gisele nach unten kam, hatte Marietta bereits den Frühstückstisch auf der Terrasse gedeckt und die Tageszeitungen bereitgelegt. Gisele setzte sich und goss sich eine Tasse Tee ein. Sie wollte gerade einen Schluck nehmen, als ihr Blick auf den Zeitungsstapel fiel. Unter der italienischen Zeitung schaute die Ecke einer englischsprachigen heraus. Sie zog sie hervor und überflog die Schlagzeilen auf Seite eins.
Die Tasse glitt ihr aus den Fingern und zerbrach klirrend auf dem Boden. Ihr stockte das Herz, ihr wurde schwarz vor Augen, sie konnte nicht mehr atmen …
Wie aus weiter Ferne hörte sie hinter sich Emilios eilige Schritte. „Gisele! Alles in Ordnung? Hast du dich verbrannt?“
Sie presste die Zeitung an die Brust, in der ihr Herz wild und unregelmäßig hämmerte. Sie bekam kein Wort heraus, ihre Kehle war wie zugeschnürt.
Auf der Titelseite der Zeitung waren zwei Fotos abgebildet: eines von ihr und Emilio beim Lunch gestern. Es war kein sehr schmeichelhaftes Foto – sie warf Emilio über den Restauranttisch einen verärgerten Blick zu. Doch es war das zweite Foto, das so viel schlimmer war …
Großer Gott, wie hatte das nur passieren können? Woher hatte die Presse ein Foto, wie sie vor dem Grab ihres Babys kniete? War ihr jemand bei ihrem letzten Friedhofsbesuch gefolgt und hatte ein Foto geschossen, als sie die Blumen auf Lilys Grab legte?
In einem betäubenden Nebel von Schmerz versuchte sie sich zu erinnern. An jenem Tag war mehr Betrieb als üblich auf dem Friedhof gewesen. Hatte jemand sie erkannt und die Gelegenheit genutzt, ein Foto von ihr für gutes Geld an die Presse zu verkaufen? Schließlich gab es Webseiten, auf denen Privatleute ihre mit dem Handy geschossenen Fotos von Berühmtheiten anbieten konnten. Nicht, dass Gisele sich für eine Berühmtheit hielt, aber die aufgefrischte Beziehung zu Emilio hatte sie ins öffentliche Interesse gerückt. Würde so ihr Leben für den nächsten Monat aussehen? Ihre Trauer für jedermann sichtbar gemacht in Zeitungen und Klatschmagazinen? Lilys kurzes Leben als Packmaterial für Fish & Chips und Gemüseabfälle?
Wie sollte sie das ertragen können?
Emilio musterte sie besorgt. „Gisele, was ist denn?“
Sie öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder, ohne ein Wort hervorzubringen. Ihr war übel, sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Vergeblich versuchte sie, die Zeitung festzuhalten, als Emilio danach griff, doch ihre Hände zitterten zu sehr. Sie konnte nichts anderes tun als zusehen, wie er die Zeitung auseinanderfaltete und auf die Titelseite starrte.
Die Zeit schien stillzustehen. Das Rascheln des Papiers dröhnte wie Donnerhall in Giseles Ohren. Sie verfolgte Emilios
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