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Julia Extra 360

Julia Extra 360

Titel: Julia Extra 360 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shirley Jump , Carol Marinelli , Susan Stephens
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trotzig sah sie ihn an. „Vermutlich hältst du das für morbide, aber … ich bin noch nicht bereit, die letzte Verbindung zu zerschneiden.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Weißt du, wie das ist, wenn du ständig gefragt wirst, ob du Kinder hast? Soll ich dann sagen: Ja, ich hatte eins, aber es ist gestorben?“ Sie unterdrückte das Schluchzen. „Ich weiß ja nicht einmal, ob ich mich Mutter nennen soll …“
    Emilio schlang die Arme um sie, legte die Wange an ihr Haar und wiegte sie in seiner Umarmung, während sie leise weinte. Emotionen machten ihm das Sprechen unmöglich. Er stellte sich vor, wie sie ihre Tochter bis zum Schluss gehalten hatte. Woher hatte sie die Kraft genommen? Wer hatte ihr beigestanden? Wer hatte sie getröstet? Kein Wunder, dass sie ihn hasste. „Nein, ich finde es nicht morbide. Noch trauerst du, aber du wirst erkennen, wann die Zeit reif ist, um Abschied zu nehmen.“ Er wischte ihr die Tränen von den Wangen. „Ich weiß nicht einmal den Namen meines Kindes.“
    „Ich habe sie Lily genannt.“
    Lily. Er atmete tief durch. „Darf ich die Fotos sehen?“
    Sie nickte. „Ich hole sie.“
    Emilio ging in die Hocke und hob auf, was von Giseles Tasse übrig geblieben war. Die Scherben des feinen Porzellans würden sich nicht wieder zusammensetzen lassen.
    So schien es im Moment auch um sein Herz bestellt …
    Als Gisele zurückkam, stand Emilio beim Fenster und sah auf den Garten hinaus. Er drehte sich zu ihr um; sein Blick ging sofort zu dem Fotoalbum, das sie an die Brust gepresst hielt. Sie reichte es ihm wortlos, ihre Kehle war so eng, sie hätte so oder so kein Wort herausgebracht.
    Er nahm ihr das Album ab, als wäre es das Wertvollste auf der Welt. Ehrfürchtig und sacht strich er mit seiner großen Hand über den Albumdeckel, auf dem Gisele ein Foto von Lily in einem weißrosa Spitzenherz aufgeklebt hatte.
    Diesen Moment würde sie nie vergessen. Er mochte ihr während der Schwangerschaft nicht zur Seite gestanden haben, er war nicht bei der Geburt dabei gewesen und hatte auch nicht das viel zu kurze Leben seiner Tochter miterlebt, aber er war ein Vater im wahren Sinne des Wortes – ein Vater, der seine neugeborene Tochter zum ersten Mal sah. Sein Blick wurde weich, seine dunklen Augen begannen feucht zu schimmern. Bewegte Rührung zog auf seine Miene, tiefe Emotionen spiegelten sich in seinen Zügen. Nie zuvor hatte Gisele erlebt, dass er seine Selbstbeherrschung schleifen ließ. Jetzt aber wurde seine Ergriffenheit durch nichts kaschiert.
    Er schlug die erste Seite auf, starrte auf das Foto von Lily direkt nach der Geburt, ihr winziges Mündchen geöffnet. Sie hatte keinen kräftigen ersten Schrei hören lassen, hatte nur ein leises Maunzen hervorgebracht. Es gab ein weiteres Foto, nachdem die Schwester sie gewaschen und in die rosa Decke eingewickelt hatte. Sie sah fast wie ein normales Baby aus, hatte da aber nur noch vier Stunden zu leben. So wenig Zeit für Gisele, um all das zu sagen, das sie ihrer Tochter hatte sagen wollen. So wenig Zeit, in die sie ein ganzes Leben Mutterliebe packen musste …
    „Sie sieht aus wie du“, murmelte Emilio rau.
    „Ich habe immer gedacht, dass sie dir ähnelt.“
    Ihre Blicke trafen sich; Giseles Herz zog sich zusammen, als sie die Tränen in seinen Augen sah. Sie hätte nie erwartet, dass er etwas für ein Baby fühlen würde, von dem er bis zu diesem Morgen nichts gewusst hatte. Sie hätte auch nie damit gerechnet, dass ihn die gleichen Gefühle überkommen würden wie sie jedes Mal, wenn sie die Fotos betrachtete. Doch er trauerte genau wie sie, sie konnte den Kummer aus seinen Zügen ablesen.
    „Sie hat etwas von uns beiden“, sagte er mit belegter Stimme.
    „Ja …“ Sie kämpfte um Fassung.
    „Darf ich …“ Seine Stimme versagte, er musste sich räuspern. „Darf ich Abzüge von den Fotos für mich machen?“
    Gisele nickte. „Ja, natürlich.“
    Er strich über ein Bild, auf dem Lily im Arm ihrer Mutter lag. „Sie ist wunderschön. Ich wünschte, ich hätte sie für einen Moment halten können. Ihre Haut streicheln, ihren Duft einatmen … Fotos sind so unzureichend, so eindimensional.“
    Gisele hielt ihm die Decke hin, die sie an die Brust gepresst hatte. Noch nie seit Lilys Tod hatte jemand außer ihr die Decke berührt. „Ihr Duft hängt noch im Stoff. Schwach nur, aber ich kann sie noch immer riechen. Wenn ich die Augen schließe, stelle ich mir vor, dass ich sie im Arm halte. Darin war sie

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