Julia Extra 360
hatten?
Nein, das war es nicht, wurde ihr jäh klar. Es war viel simpler.
Er liebte sie nicht.
Er hatte sie nie geliebt und würde sie nie lieben.
„Und die Presse?“ Sie klammerte sich an jeden Strohhalm, den sie finden konnte. „Wird es nicht für neuen Rummel sorgen, wenn wir …“
Er zuckte achtlos mit den Schultern. „Mach dir deshalb keine Gedanken. Ich werde eine offizielle Erklärung abgeben, dass es mit uns eben nicht geklappt hat. Sie werden dich in Zukunft in Ruhe lassen. Luigi wird dich zum Flughafen fahren.“
Sie gab sich die größte Mühe, so lässig zu wirken wie er. „Das ist also der Abschied?“ Wie weh es tat, das Wort auszusprechen! Bitte, oh bitte, kein Abschied! Nicht noch einmal! Nicht so!
Emilios Gesicht war eine starre Maske. „Ja, das ist der Abschied“, bestätigte er.
Gisele nickte. Was anderes hätte sie auch tun können? Sie hatte gesagt, dass sie gehen wollte, und er hatte sie beim Wort genommen. Ihre Sachen konnten innerhalb kürzester Zeit gepackt werden, Luigi hielt sich auf Abruf bereit, um mit dem Wagen vorzufahren. Worauf wartete sie also noch? Eigentlich hatte sie ja gar nicht nach Italien kommen wollen, sie war gegen ihren Willen hier …
Warum hatte sie dann das Gefühl, als würde ihre Welt zum zweiten Mal in tausend Scherben zerbersten?
Drei Wochen später …
Gisele räumte gerade neue Waren in die Regale, als Hilary, ihre Mutter, den Laden betrat. Es war das erste Treffen seit ihrer Rückkehr aus Italien. Zwar hatten sie ein paarmal miteinander telefoniert, aber die Gespräche waren seltsam steif und förmlich geblieben.
„Der Laden macht sich.“ Hilary kam nur selten her, blieb für gewöhnlich kaum lange genug, um sich umzusehen.
„Danke.“
Schweigen.
„Du bist dünner geworden, Gisele. Bist du sicher, dass die Expansion dir nicht zu viel abverlangt?“
„Ich komme gut zurecht.“ Gisele hängte sorgfältig ein Jäckchen auf einen Bügel.
Mit einem leisen Seufzer strich Hilary über die gestickte Bordüre eines winzigen Pullovers. „Du bist noch immer wütend. Ich kann es dir nicht verübeln. Was dein Vater getan hat, war falsch.“
Gisele drehte sich um und sah sie an. „Ihr beide habt es falsch gemacht. Du hast ebenso viele Lügen erzählt wie er. Du hast die Lüge gelebt .“
Tränen stiegen Hilary in die Augen, sie drückte den Pullover an die Brust. „Ich weiß. Und jeden Tag lebte ich mit der Angst, dass die Wahrheit herauskommt. Ich wollte, dass du von Anfang an die Wahrheit erfährst, doch dein Vater war dagegen. Ich traute Nell Baker nicht. Ich wartete immer auf den Tag, an dem sie auftauchen und dich zurückfordern würde. Vermutlich habe ich deshalb Distanz gehalten und war immer eher steif. Weil ich mir nicht sicher war, ob du mir nicht jeden Moment aus den Armen gerissen werden würdest.“
Tränen hatte Gisele bei ihrer Mutter noch nie gesehen, kein einziges Mal. Hilary behielt immer die Fassung, hatte sich immer unter Kontrolle, zeigte niemals Emotionen. „Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass du mich nicht wirklich liebst. Ich dachte, ich wäre nicht gut genug für dich.“
„Oh Liebling. Ich liebe dich doch so sehr. Ich habe alle meine Babys geliebt.“
„Babys?“ Gisele runzelte die Stirn. „Welche Babys?“
Hilary zupfte an dem kleinen Pullover. „In den ersten beiden Ehejahren erlitt ich vier Fehlgeburten. Ich fühlte mich als komplette Versagerin. Jedes Mal stiegen meine Hoffnungen in schwindelnde Höhen, und wenige Wochen später stürzten sie wieder ab. Ich habe mich immer bemüht, mich nicht zu sehr zu binden, aber ich habe jedes dieser winzigen Geschöpfe geliebt.“
„Warum hast du mir nie davon erzählt?“ Gisele war völlig erschüttert. „Nicht einmal, als ich Lily verlor …“
Hilarys Lippen bebten. „Meine Schwangerschaften dauerten immer nur wenige Wochen. Du hast dein Kind geboren und es verloren. Was hätte ich dir da sagen können? Etwa, dass ich verstehe, was du durchmachst? Ich habe immer darunter gelitten, keine echte Mutter zu sein. Du zumindest warst Mutter, wenn auch nur für wenige Stunden.“
„Aber du bist doch eine echte Mutter.“ Auch Gisele strömten jetzt die Tränen über die Wangen. „Du bist die einzige Mutter, die ich habe. Ich liebe dich.“
Hilary zog sie in die Arme. „Ich liebe dich auch, meine wunderbare Tochter. Ich liebe dich so sehr.“
Emilio stieß frustriert die Computermaus von sich und stand auf. Ohne etwas zu sehen, starrte er aus dem Fenster
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