Julia Extra Band 0193
teilweise verantwortlich dafür fühlte. Hätte sie besser auf Pen aufgepasst, wäre Pen vielleicht nicht mit sechzehn schwanger geworden. Zuerst völlig am Boden zerstört, war Pens Verzweiflung in euphorische Begeisterung umgeschlagen. Doch es hatte nicht sein sollen.
Das Baby kam zu früh, und oben in dem kleinen Schlafzimmer tat Cass alles Menschenmögliche, um das neue Leben zu retten. Vergeblich.
Pen war völlig gebrochen, und Cass begann an ihrer Berufung zur Ärztin zu zweifeln. Cass unterbrach ihr Studium, um ganz für ihre Schwester da zu sein. Zuerst schien es, als würde Pen nie wieder aus der Depression hervorkommen, doch schließlich erholte sie sich und ging aus dieser Erfahrung umso abgeklärter hervor. Jetzt wollte sie Model werden.
Cass verdrängte die Zweifel, verkaufte ihre Bücher und ihre medizinischen Instrumente – überzeugt, dass das Kapitel Medizin für sie endgültig abgeschlossen sei –, um Pens Portefolio zu finanzieren. Das Geld schien gut angelegt zu sein, als Pen bei einer Modelagentur angenommen wurde.
Doch der Traum vom Supermodel erfüllte sich nicht. Pen war nicht groß genug. Es reichte für Shootings für Kataloge, und als auch hier keine Aufträge mehr kamen, gab sie sich als Messe-Hostess zufrieden.
Auf einer dieser Messen traf sie die Carlisles. Und was einst ein Scherz zwischen den Schwestern gewesen war – Geld zu heiraten –, machte sie nun zu ihrem persönlichen Kreuzzug. Zuerst war ein gewisser Drayton Carlisle im Gespräch, doch dann, als sich herausstellte, dass er zu alt war, verlagerte sich Pens Aufmerksamkeit auf Thomson Carlisle.
Tom Carlisle war zwar ein paar Jahre älter als die siebzehnjährige Pen, aber noch relativ unreif. Eine privilegierte Kindheit, unterbrochen durch den Verlust der Eltern. Er war nett, wenn auch ein wenig weich.
Ob Pen Tom geliebt hatte? Cass war nie sicher gewesen. Doch dann war Pen triumphierend zurückgekommen, mit einem Solitär am Ringfinger. Selbst zum Zeitpunkt der Verlobung war Tom noch immer eine unbekannte Größe für Cass. Pen hielt sich aufreizend zurück mit ihren Informationen. Tom war zwei-, drei-, vierundzwanzig, wohnte irgendwo in South Kent und machte irgendwas im Familienunternehmen.
Tatsächlich hatte Cass Drayton Carlisle noch vor Tom kennengelernt. Eines Tages stand er einfach vor ihrer Tür, dieser große, atemberaubend gut aussehende Mensch. Wie ein Traumwesen von einem anderen Stern. Erst hatte Cass’ Magen zu flattern begonnen, dann waren die Schotten für die Selbstverteidigung zugefallen. Cass hatte einen anstrengenden Tag im Supermarkt hinter sich, in dem sie arbeitete, seit sie das Medizinstudium aufgegeben hatte, und sein unangekündigtes Auftauchen ließ ihre Laune noch schlechter werden. Dass sich herausstellte, wie wenig gut er die Beziehung zwischen seinem fünfundzwanzigjährigen Bruder und der siebzehnjährigen Penelope hieß und zudem betonte, dass er derjenige sei, der am finanziellen Hebel sitze, machte ihn ihr nicht gerade sympathischer. Trotzdem ließ sich die unterschwellige, scheinbar beiderseitige Anziehungskraft nicht leugnen, denn während er sie in seinem großen Wagen zur Arbeit zum Supermarkt fuhr, lud er sie prompt zu einem Drink nach der Arbeit ein.
Sein träges Lächeln war so anziehend, dass Cass sich gut vorstellen konnte, wie viele Frauen sich davon bezaubern ließen. Und für einen kurzen, verrückten Moment war sie ebenso versucht. Vielleicht würde es ja Spaß machen, ihn ein wenig von seinem hohen Ross herunterzuholen. Doch dann nahm sie wieder Vernunft an.
„Ich kann nicht.“
„Oder wollen Sie nicht?“
Nein, es war wirklich „kann nicht“. Nach der Arbeit im Supermarkt wurde sie für die Nachtschicht im „Happy Hamburger“ erwartet. Sie befand es allerdings für unnötig, ihm eine entsprechende Erklärung abzugeben. „Wie auch immer“, erwiderte sie nur mit einem Schulterzucken und stieg aus.
„Dann vielleicht ein anderes Mal“, gab er ungerührt nach.
So was sagte man leicht dahin, aber als sich ihre Blicke trafen, las Cass darin, dass er es ernst meinte. Und dann war er auch schon wieder angefahren und ließ nichts anderes zurück als einen Hauch seines männlichen Duftes und dieses Versprechen – oder war es eine Drohung?
Und dann, vor fast genau drei Jahren, heiratete Pen Thomson Carlisle, und die Schwestern sahen sich kaum noch. Cass nahm ihr Medizinstudium wieder auf, denn Pen war mehr als versorgt. Davon hatte Cass sich überzeugen
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