Julia Extra Band 0193
berühren. Leben zu spüren angesichts des Todes.
Vielleicht war es wirklich nur Sex. Jetzt hob er sie hoch und drückte sie wieder gegen den Baumstamm. Seine Hände waren überall, leidenschaftlich, fast grob, kneteten, massierten, streichelten. Und Cass reagierte. Es war eine ganz andere Cass, eine keuchende, lustvoll stöhnende Cass, die sich stürmisch an ihn klammerte und nicht genug von ihm bekommen konnte.
Und dann war da plötzlich dieses Rufen, erst von weit her, dann immer näher.
Hätten sie dieses Rufen eher gehört, wäre ihnen dieser Anfall von Wahnsinn erspart geblieben. Wäre dieser Mensch zwei Minuten später gekommen, hätten sie wahrscheinlich auf dem Boden gelegen und sich geliebt.
Die Stimme war schon gefährlich nahe. In Panik stieß Cass ihn von sich ab.
„Ist schon in Ordnung“, murmelte Dray an ihren Lippen. „Es ist Alec Stewart, mein persönlicher Assistent.“
Alec Stewart, der Vater des Jungen, der fast ertrunken wäre. Aber wieso war es in Ordnung? Verzweifelt bemühte Cass sich, die Knöpfe ihrer Bluse zu schließen, doch ihre Finger wollten ihr den Dienst nicht erweisen. Bis Dray ihr schließlich half.
Währenddessen wurde Cass klar, wieso es in Ordnung war: Natürlich, er war der reiche, mächtige Drayton Carlisle. Die Regeln für normale Menschen griffen bei ihm nicht. Er konnte tun, was immer er wollte.
Und sie hatte ihn gelassen! Noch dazu auf der Beerdigung ihrer Schwester!
Scham überrollte sie, mächtig wie eine Flutwelle. Mit gesenktem Blick bückte sie sich nach ihrer Jacke und ging mit unsicheren Schritten davon, während Alec Stewart weiter auf Dray zukam. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie ging. Nur weg von hier, war ihr einziger Gedanke. Und die bohrende Frage, wie sie hatte zulassen können, dass so etwas passiert war.
Vielleicht hatte Dray recht. Vielleicht war sie sexbesessen.
Aber war eine Frau sexbesessen, die eine einzige, relativ kurzfristige Beziehung in drei Jahren gehabt hatte?
Nein, es lag an Drayton. Er brauchte sie nur zu berühren, und sie wurde zu einem Vulkan. Damals war es genauso gewesen. Damals …
Der nette junge Arzt war längst gegangen, aber sie lag immer noch regungslos auf dem Bett. Sie war so müde. Sie hatte die Nacht vor der Hochzeit kaum geschlafen, und ihre waghalsige Rettungsaktion hatte den letzten Rest ihrer Energie verbraucht. Nur kurz die Augen schließen, nur zehn Minuten …
Eine Hand rüttelte sie sanft wach. Drayton Carlisle stand neben ihrem Bett.
„Ihre Schwester wird sich bald verabschieden. Wollen Sie nicht hinunterkommen?“
Benommen sah sie zu ihm auf, dann kam die Erinnerung an die Ereignisse des Tages zurück: die Hochzeit, die Rettungsaktion, die Schnittwunde im Fuß … doch dies alles verblasste im Vergleich zu dem Kuss.
„Ja, natürlich“, murmelte sie.
„Ich habe ein paar Sachen für Sie auftreiben können.“ Er zeigte auf den fein säuberlich bereitgelegten Stapel am Fußende des Bettes.
„Danke.“
„Ich warte so lange draußen.“ Und damit drehte er sich um und zog leise die Tür hinter sich ins Schloss.
Cass gähnte verstohlen und sah auf ihre Armbanduhr. Sie hatte volle drei Stunden geschlafen!
Hastig setzte sie sich auf und zog sich an. Die Spitzenunterwäsche wirkte, als sei sie nie getragen worden, und das minzgrüne Kleid trug das Label eines teuren Designers. Es war etwas zu eng und etwas zu kurz, aber unter den gegebenen Umständen durfte sie nicht kleinlich sein.
Sie kämmte sich gerade das Haar, als Dray mit einem Klopfen das Zimmer wieder betrat. Sie starrten einander schweigend an. Und Cass wusste, sie würde sich nie daran gewöhnen, dass er so verboten gut aussah.
Sie wollte sich vom Bett erheben, doch sie sank sofort wieder in sich zusammen, als ihr Bein sie nicht stützen wollte.
„Ich trage Sie nach unten“, hörte sie Dray sagen.
„Ja, einverstanden.“ Sie wollte jetzt keine Szene machen. Eine Szene zu machen hieße, zugeben, dass seine Nähe eine Reaktion in ihr hervorrief.
„Es sei denn, Sie ziehen es vor, dass John das tut.“
„John?“
„Dr. Michaelson.“
Cass verzog das Gesicht. „Ich glaube nicht, dass Patienten zu tragen zu seiner Arbeitsplatzbeschreibung gehört.“
„In Ihrem Fall würde er sicher gern eine Ausnahme machen“, fuhr Dray fort. „Er schien sehr angetan von Ihnen zu sein.“
Der altmodische Ausdruck reizte sie zu einem Lächeln. „Angetan?“ Wahrscheinlich hätte sie gelacht, wenn er nicht so ernst ausgesehen
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