Julia Extra Band 0193
hätte.
„Natürlich kann ich mich auch irren, und seine Fragen nach Ihrer Adresse und Ihrer Person entstammen einem rein medizinischen Interesse.“
„Ich wette, Sie haben ihm sofort aufgetischt, dass ich als Kassiererin arbeite.“
„Um genau zu sein, ich habe ihm überhaupt nichts gesagt.“
„Oh.“ Cass kam sich dumm vor.
Dray legte einen Arm unter ihre Kniekehlen, den anderen an ihren Rücken und hob sie auf. „Sein Interesse war nicht erwünscht.“
„Stimmt.“ Wieso eigentlich? Woher nahm er die Selbstsicherheit, zu behaupten, das Interesse eines Mannes sei ihr unwillkommen? „Jetzt nehmen Sie sich also schon das Recht, für mich zu sprechen?“, fragte sie provozierend und machte dabei den Fehler, ihn anzuschauen.
Er schaute sie ebenso direkt an. „Nein, ich sprach für mich selbst.“
Diesmal war Cass’ „Oh“ kaum hörbar. Sie konnte an seinem Gesicht erkennen, dass es ihm bitter ernst war. Dies hier war kein Spiel mehr. Er sagte nichts weiter. Brauchte es nicht, denn es stand alles in seinen Augen zu lesen, war zu erkennen in der Art, wie er sie hielt.
Er wollte sie.
Und sie – den Kopf an seine Schulter gelegt, von einem Zittern durchlaufen, als er sein Gesicht in ihrem Haar vergrub – wollte ihn auch.
Es war so einfach und klar, solange er sie den endlosen Korridor entlangtrug, die Treppe hinunter, durch die Räume bis hinaus auf die Terrasse. Und dann brach der Bann, durch das helle Sonnenlicht, die vielen anwesenden Menschen und vor allem durch die Miene ihrer Schwester.
Doch der Ausdruck von Verärgerung verschwand sofort, als Dray Cass zu ihr an den Tisch setzte. Nachdem ihr mehrere Leute zu ihrem Mut gratuliert hatten und Dray zusammen mit Tom gegangen war, um Drinks zu holen, begann Pen mit der Inquisition. Pen wusste, dass ihre Schwester keine gute Schwimmerin war, und konnte nicht glauben, dass sie in den Fluss gesprungen und den Jungen gerettet haben sollte.
Cass berichtete wahrheitsgemäß und überließ die Ehre dem, dem sie gebührte, aber etwas in ihrem Ton, vielleicht die Art, wie sie Drays Namen aussprach, musste Pen dazu veranlasst haben, zu fragen: „Also, was ist da abgelaufen?“
„Das habe ich dir doch gerade erzählt.“
„Das meine ich nicht. Zwischen dir und Dray.“
„Wie bitte?“ Waren ihre Gefühle so offensichtlich?
„Oh, jetzt spiel nicht das Unschuldslamm“, meinte Pen abfällig. „Er ist alle halbe Stunde zu deinem Zimmer gerannt. So besorgt, wie er um dich war, hätte man annehmen sollen, du liegst im Sterben.“
Also hatte er sie nicht einfach liegen lassen! Ihr Herz tat einen Sprung. „Ich habe geschlafen.“
„Wirklich?“ Pens Stimme wurde scharf, die Eifersucht war nicht zu überhören.
Eifersüchtig auf sie? Wegen Dray? Nein, unmöglich. Wahrscheinlich deshalb, weil sie an Pens großem Tag mit ihrer Rettungsaktion zu viel Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte. Und das war verständlich.
Sie drückte versöhnlich Pens Hand. „Es tut mir leid, wenn ich dir ein wenig den Tag verdorben habe. Und natürlich hast du recht. Er scheint wirklich zu viel daraus zu machen. Wahrscheinlich schwitzt er Blut und Wasser, dass ich ihn verklagen könnte.“
Immer noch lagen tiefe Falten auf Pens hübscher Stirn. „Verklagen? Weshalb?“
Cass musste sich schnell etwas einfallen lassen, wenn sie Pen versöhnlich stimmen wollte. „Nun … ungesichertes Flussufer? Fahrlässiges Ignorieren von herumliegenden Glasscherben?“
Beides waren mehr als fadenscheinige Argumente, aber Pen ließ sich davon beeindrucken. Allerdings brach sie sofort wieder in Panik aus. „Du willst ihn doch nicht wirklich verklagen, oder? Immerhin muss ich in dieser Familie leben!“
„Pen, so beruhige dich doch!“ Manchmal zweifelte Cass ernsthaft an ihrer Schwester. „Überleg doch mal. Ist es wahrscheinlich, dass ich nach Hause gehe und heute Abend noch unseren Anwalt anrufe?“
„Aber wir haben doch gar keinen Anwalt …“
„Eben.“
Pen sah einen Moment begriffsstutzig drein, doch sie zauberte sofort ein Lächeln auf ihr Gesicht, als Tom und Dray mit den Drinks zurückkamen.
Bald darauf wurde das Brautpaar verabschiedet. Alle Gäste winkten der großen Limousine nach, die Tom und Pen nach London auf den Weg zu ihren Flitterwochen brachte.
Cass fand sich erneut neben Onkel Charles wieder. Sie bemühte sich redlich, sich auf die Worte des netten alten Herrn zu konzentrieren, aber alles kam ihr irgendwie irreal vor. Dass sie den Champagner in großen
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