Julia Extra Band 0193
beschloss dann, einen Rundgang durchs Haus zu machen. Endlich, im obersten Stockwerk, fand sie das Kinderzimmer. Hier gab es reichlich Spielzeug, und in den Schubfächern der Kommoden stapelten sich fein säuberlich gefaltet die exklusivsten Babymoden. Was nichts bedeuten musste. Das waren materielle Dinge, sie sagten nichts darüber aus, ob Ellie in diesem Haus auch Liebe entgegengebracht werden würde.
Cass suchte einen Frottee-Strampler und ein weiches Badelaken heraus und badete Ellie in der Kinderbadewanne im angrenzenden Bad. Die Kleine lachte und strampelte, es machte ihr offensichtlich Spaß. Nach dem Baden legte sie die Kleine in das Kinderbettchen zum Schlafen nieder. Ellie schien noch keine Lust zum Schlafen zu haben, doch Cass blieb bei ihr und erzählte selbst ausgedachte Geschichten, und nach und nach wurde Ellie immer ruhiger und ihre Augenlider immer schwerer, bis sie schließlich tief und fest atmete. Cass schlich sich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer.
Es war noch keine neun Uhr, doch Cass entschied sich dafür, in dem angrenzenden Zimmer zu Bett zu gehen, um Schlaf nachzuholen. Vorher jedoch stahl sie sich in Drays Schlafzimmer, um sich ein T-Shirt für die Nacht zu besorgen. Auf dem Rückweg sah sie noch einmal zu Ellie ins Zimmer, die ruhig und zufrieden schlief, und dann ging auch sie zu Bett.
Ihr Kopf hatte kaum das Kissen berührt, da schlief sie auch schon ein, selbst in dieser fremden Umgebung. Das war eine Eigenschaft, die sie als Ärztin hatte lernen müssen: zu schlafen, wo immer und wann immer es möglich war. Und noch etwas hatte sie gelernt: beim leisesten Geräusch sofort hellwach und einsatzbereit zu sein.
Das Babygeschrei, das in ihren Schlaf drang, war zu real, um ein Traum zu sein. Cass schoss aus dem Bett hoch und eilte in Ellies Zimmer.
„Ich bin ja da, Ellie. Scht, keine Angst.“
Sie ging auf das Kinderbettchen zu, aber dann hielt sie abrupt inne. Im Strahl des Mondlichts konnte Cass eine Gestalt erkennen, und einen entsetzlichen Moment lang dachte sie, ein Unbefugter hätte sich hier hereingeschlichen. Bis sie die Stimme hörte.
„Melanie, ich bin’s. Alles in Ordnung.“
Die Erleichterung dauerte nur kurz. Cass versteifte sich sofort.
„Ich fürchte, ich habe sie aufgeweckt“, fuhr Dray fort. „Ich wusste nicht, ob ich sie aufheben soll oder nicht.“
Er sprach so leise, mit einem um Entschuldigung bittenden Tonfall, den sie überhaupt nicht an ihm kannte. Ihre Beziehung war viel zu überreizt, als dass sie sich auf einen zivilisierten Austausch hätten einigen können.
„Ich bin nicht Melanie.“ Sie überließ es ihm, zu erraten, wer sie denn nun sei, während sie ihre Nichte aus dem Bettchen hob und auf den Arm nahm.
„Du!“, stieß Dray hervor und schaltete die Nachttischlampe ein.
„Ja, ich“, bestätigte sie gelassen.
„Ich glaube es nicht!“ Er war erstaunt, verärgert, empört. Er machte einen Schritt auf sie zu. „Was tust du hier?“
„Im Moment versuche ich, Ellie zu beruhigen, aber das geht nur, wenn du deinen Ton mäßigst. Es sei denn, du möchtest es selbst versuchen?“ Sie hielt ihm Ellie hin, doch es war nur eine provozierende Geste.
Sein Blick schien sie zu durchbohren. „Sehr komisch, wirklich. Ich warte draußen.“
„Wenn du unbedingt willst.“ Damit war die Angelegenheit für sie erledigt.
Für ihn nicht. „Das Einzige, was ich will, ist ins Bett gehen.“
Cass zuckte achtlos die Schultern. Sie würde ihn nicht davon abhalten.
„Und keine Sorge, das war kein Angebot. Nach einem Neunstundenflug habe ich wirklich andere Dinge im Kopf.“
„Ich habe mir keine Sorgen gemacht“, erwiderte sie scharf.
Allerdings keine sehr clevere Bemerkung, denn er schoss sofort zurück: „Also, das ist interessant. Ich meine, dass du gar nicht besorgt bist.“
„So meinte ich das nicht …“ Sie wollte jeglichen falschen Eindruck vermeiden, aber er war bereits zur Tür hinaus. Sie verzog das Gesicht. Natürlich wusste er, wie sie es gemeint hatte. Es machte ihm einfach Spaß, sie aus der Fassung zu bringen.
Es war völlig irrsinnig gewesen, sich darauf einzulassen, hier im Haus zu schlafen! Sich um dieses Kind zu kümmern, das vielleicht sein Kind war, und sich selbst damit in diese unmögliche Situation zu bringen. Sie musste komplett verrückt sein!
In Gedanken schritt sie auf und ab, aber immerhin schien das eine beruhigende Wirkung auf Ellie zu haben. Nach und nach wurde sie stiller, und schließlich verrieten die langen
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