Julia Extra Band 0193
Diesen Schmerz wollte sie nicht noch einmal durchleben müssen.
Als er sie nochmals küssen wollte, arbeitete ihr Verstand wieder. Sie wandte den Kopf ab.
„Es gibt kein ‚du und ich‘, Dray“, brachte sie kühl hervor. „Hat es nie gegeben. Es war nur Sex, und im Moment habe ich keinen Bedarf. Aber vielleicht komme ich mal auf dich zurück …“
Sie hörte, wie er scharf die Luft einsog, sah, wie die Zärtlichkeit aus seinem Blick schwand, spürte den Schmerz an ihrer Taille, als der Griff seiner Hände fester wurde. Aber dieser kurze Schmerz war nichts im Vergleich zu dem, den er ihr vor drei Jahren zugefügt hatte.
„Mach dir keine Mühe“, gab er barsch zurück. „Die Frauen, die ich bevorzuge, müssen mehr zu bieten haben.“
„Wie zum Beispiel die Frau deines Bruders?“ Abrupt riss sie sich von ihm los. Sie wartete nicht auf seine Erwiderung, sondern marschierte davon, halb blind und zitternd vor Wut. Unwirsch strich sie sich mit der Hand über die Lippen, bis sie meinte, nur noch einen bitteren Geschmack spüren zu können.
Sie würde die Vergangenheit nie vergessen.
7. KAPITEL
Zwei Wochen später stand Cass auf der breiten Freitreppe von North Dean Hall und holte tief Luft, bevor sie die Türglocke drückte. Natürlich war es unwahrscheinlich, dass er mitten in der Woche zu Hause sein würde, aber man wusste ja nie.
Erst nach dem zweiten Klingeln erschien die Haushälterin, reichlich außer Atem. „Ja bitte?“
„Cassandra Barker. Ich hatte letzte Woche angerufen.“
„Ja, richtig“, entsann sich Mrs Henderson. „Erwartet Mr Carlisle Sie?“
„Nein, ich war nur in der Gegend und hatte mir gedacht, ich sehe mal nach meiner Nichte.“ Sie bemühte sich, ihren Ton unbeschwert zu halten, obwohl ihr eigentlich ganz anders zumute war. Nachdem sie erfahren hatte, dass das kleine Mädchen auf North Dean Hall war, hatte sie ständig darüber nachdenken müssen, wie sie wohl „versorgt“ wurde. „Aber natürlich nur, wenn es nicht ungelegen kommt.“ Sie setzte ein charmantes Lächeln auf, und Mrs Henderson lächelte zurück, wenn auch immer noch seltsam zerstreut.
„Ja, natürlich. Ich denke nicht, dass Mr Carlisle etwas dagegen haben wird.“
Cass konnte sich allerdings ausrechnen, dass Dray etwas dagegen hätte, aber das hielt sie nicht davon ab, einzutreten.
„Wenn Sie mir folgen wollen …“ Mrs Henderson ging voraus zum Salon. „Möchten Sie Kaffee oder Tee? Die Kleine schläft gerade, aber es ist sowieso bald Zeit für ihre Flasche …“
„Oh, wecken Sie sie wegen mir nicht auf. Ich warte gern ein Weilchen. Ich nehme so lange einen Kaffee.“
Mrs Henderson nickte und ließ Cass allein.
Cass begann im Zimmer auf und ab zu marschieren. Sie war nicht sicher, ob sie das Richtige tat. Ihr Vertrag mit dem Krankenhaus lief bald aus, und gerade gestern hatte eine Praxis in Slough ihr ein Angebot unterbreitet. Ihre Karriere verlief also genau nach Plan. Sie konnte endlich aus London wegziehen und ein neues Leben beginnen.
Doch seit sie Pens Brief gelesen hatte, nagte das Gewissen an ihr. Sie hatte ständig an ihre kleine Nichte denken müssen. Sie hatte immer noch keine Ahnung, was genau Pen sich vorgestellt hatte, aber irgendetwas musste sie tun. Und selbst wenn es nur darum ging, mit eigenen Augen zu sehen, dass das Baby gut „versorgt“ war, wie Dray es ausgedrückt hatte. Dann konnte sie beruhigt ihren Weg weitergehen.
Cass’ Ungeduld wuchs. Wo blieb Mrs Henderson so lange? Schließlich beschloss sie, in die Küche zu gehen.
Und je weiter sie dem Korridor folgte, desto lauter wurde das Geschrei. Das Schreien eines Babys. Cass öffnete die Küchentür.
Mrs Henderson hielt das weinende Baby auf dem Arm, vor ihr auf dem Boden lag eine zerbrochene Milchflasche, eine weiße Pfütze breitete sich immer weiter aus.
„Ich wollte mich so beeilen, und dann ist mir die Flasche aus der Hand geglitten“, erklärte eine völlig abgehetzte Mrs Henderson fahrig. „Tut mir leid, dass ich Ihnen den Kaffee noch nicht gebracht habe, aber …“
„Das macht doch nichts.“ Cass trat auf Mrs Henderson zu. „Ich halte sie, dann können Sie sich in Ruhe um eine neue Flasche kümmern.“
Mrs Henderson übergab ihr nur zu gern das kleine Bündel. Zwar schrie die Kleine immer noch, aber Cass murmelte leise und beruhigend auf sie ein und ging langsam in der Küche mit ihr auf und ab. Nach und nach beruhigte sich die Kleine, und als die zweite Milchflasche zubereitet war und Cass sie ihr
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