Julia Extra Band 0198
und Tochter, die das Essen richteten. Es faszinierte ihn, den beiden zuzuschauen, sie waren ein eingespieltes Team. Schälen, schneiden, würfeln – und viel fröhliches Gelächter, in das er sehr bald mit einfiel. Und dann ganz plötzlich, mit einem Schlag, nahm er die Liebe zwischen den beiden wahr, und diese Erkenntnis fuhr ihm bis ins Mark. Es war ein richtiges Heim, ein Zuhause.
Und das Schlimmste war, dass es ihm auch noch gefiel!
Julia war rundherum zufrieden. Das Essen war hervorragend gelungen, genau so, wie es sein musste, einschließlich der selbst gebackenen Schokoladentorte, die geradezu sündhaft gut gewesen war. Und Ryan hatte es ganz offensichtlich geschmeckt.
Sie und Kelly hatten zusammen geplant, eingekauft und gekocht. Und sie hatten viel Spaß dabei gehabt. Sicher, Kelly hatte schon öfter beim Zubereiten geholfen, aber dann war es für eine Party ihrer Kunden gewesen und dazu in Charlottes großer Küche. Hier, in ihrer kleinen Küche, hatte sich eine ganz eigene Atmosphäre zwischen ihnen entwickelt. Sie waren sich viel näher, hatten viel zusammen gelacht und herumgealbert. Ja, es war ein schöner, unbeschwerter Nachmittag gewesen. Julia nahm sich vor, viel öfter mit ihrer Tochter zusammen zu kochen.
Sie sah über den Tisch, der noch mit Geschirr vollstand, blickte auf die benutzten Servietten, die halb abgebrannten Kerzen. Und dann blickte sie liebevoll zu Kelly und Ryan, die in ein angeregtes Gespräch vertieft waren. Aber sie fühlte sich so wohl, dass sie wie auf einer Wolke schwebte und ihren Gedanken nachhing, ohne auf die Worte zu achten. Es war nicht wichtig, worüber die beiden redeten, allein die wohlige Gemütlichkeit war wichtig, und die genoss sie in vollen Zügen.
Wieder einmal fiel ihr auf, wie blau Ryans Augen doch waren. Sie hatte sich eingestanden, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte, aber sie hatte sich dem Problem gestellt, hatte es analysiert und einen Entschluss gefasst. Sie wollte ihr Leben nicht mit der Beziehung zu einem Mann verkomplizieren. Zu keinem Mann. Und außerdem war Ryan ja gar nicht an ihr als Frau interessiert. Das machte es ihr leichter, ihre Hormone unter Kontrolle zu halten.
Trotzdem … es war ein gutes, ein schönes Gefühl, hier so familiär zusammenzusitzen.
Sie nippte an ihrem Kaffee und sah, wie Kellys Augen in Hochstimmung glänzten, während sie Ryan irgendetwas erzählte und er ihr aufmerksam zuhörte. Julia lächelte leicht. Bis jetzt hatte Kelly noch nie solch ungeteilte Aufmerksamkeit eines erwachsenen Mannes genossen.
Der Begriff “Fantasievater” schoss wie ein Blitz in ihre Gedanken, so unerwartet, dass sie zusammenzuckte und Kaffee über die weiße Tischdecke verschüttete.
“Ist alles in Ordnung?”, fragte Kelly besorgt.
“Hast du dich verbrannt?”, fragte Ryan zur gleichen Zeit.
“Ja, nein …” Julia wischte sich mit der Serviette über den Mund. “Ich meine, alles ist in Ordnung, und ich habe mich nicht verbrannt.” Sie schob ihren Stuhl zurück. “Entschuldigt mich bitte für einen Moment.”
Sie hastete zum Bad und lehnte sich mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür. Ihr Puls raste. Seit Jahren hatte sie nicht mehr an ihren “Fantasievater” gedacht. Sie hatte ihn erfunden, da war sie jünger als Kelly gewesen.
Ihr echter Vater war so …
Sie presste die Hände an die Wangen und schüttelte sich leicht. Mein Gott, sie konnte noch nicht einmal an diesen Mann denken, ohne dass ihr die Tränen kamen.
Sie ging zum Waschbecken, ließ Wasser über ihre Handgelenke laufen und studierte ihr Gesicht im Spiegel.
Der Fantasievater, den sie damals als Kind erfunden hatte, war eine Art Überlebenstaktik gewesen. Wenn der Alltag mit ihrem echten Vater zu unerträglich wurde, hatte sie sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und sich in eine Traumwelt geflüchtet, hatte einen Vater für sich erfunden, der zuhörte, nicht ständig schimpfte, der mit ihr spielte, anstatt ihr Vorwürfe zu machen, dessen Herz mit Liebe anstatt mit Wut und Verärgerung angefüllt war.
Kelly und Ryan im Gespräch zusammen zu sehen, die uneingeschränkte Bewunderung ihres Kindes für diesen Mann, hatte ihre eigenen, unschönen Kindheitserinnerungen geweckt.
“Hör auf damit”, murmelte sie sich zu. “Du brauchst nicht mehr an ihn zu denken.”
Kelly hatte ihren Großvater nie kennengelernt. Dem Himmel sei Dank dafür! Aber leider auch nicht ihren Vater. Und das tat Julia weh. Aber sie hatte nichts daran ändern können.
Denk
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