JULIA EXTRA BAND 0261
die Kinder nicht allein lassen wollen.“
„Bleiben nur wir beide, Nell …“
Nell schnappte nach Luft, aber Lucas Mutter bedachte ihn mit einem Blick, der eindeutig ihre Verwunderung über seine Umständlichkeit zum Ausdruck brachte. Sie konnte ja nicht ahnen, dass er schon andere Strategien ausprobiert hatte und kläglich gescheitert war.
Bevor Nell ihren Schrecken ob seines überraschenden Vorschlags überwinden konnte, hob seine Mutter die Hand. „EinAusflug zum Chalet ist eine famose Idee. Habe ich nicht kürzlich erst gesagt, dass Sie sich ein wenig erholen sollen, Nell?“
„Ich weiß nicht recht …“, stotterte Nell.
Luca sah deutlich, dass Nell durch die Begeisterung seiner Mutter verunsichert war. Dass selbst die Gräfin die Idee befürwortete, verlieh dem Ganzen eine Art Respektabilität.
„Und danach kommen Sie frisch und ausgeruht zur Arbeit zurück, Nell“, fuhr sie fort. „Natürlich ist es allein Ihre Entscheidung. Es würde mir nicht im Traum einfallen, Sie zu beeinflussen.“ Damit schloss sie die Augen und lehnte sich zurück.
Nell starrte die contessa an. Es war ganz unmöglich. Andererseits – warum eigentlich nicht? Was sprach gegen eine kleine Auszeit? So wie die contessa es formuliert hatte, klang es ganz plausibel.
„Mollys Antwort können Sie sich denken, nicht wahr?“, strahlte die Gräfin.
Als Familie hatten die Barbaros die Kunst des Manipulierens meisterhaft perfektioniert. Molly hatte sich schon oft bei Nell beschwert, dass sie nicht genug Freiheit genoss. Wahrscheinlich hatte sie sich schon bei Lucas Mutter beschwert.
„Es ist nur ein Wochenende“, setzte die contessa nach.
„Nur ein langes Wochenende“, fügte Luca hinzu.
„Und die Bergluft wird Ihnen so guttun.“
„Was meinst du?“
Als sie Lucas Blick begegnete, hielt sie die Luft an. „Wir wären doch nicht allein, oder?“
„Allein?“, rief die Gräfin entsetzt aus. „Selbstverständlich nicht. Das Chalet ist immer mit einem Stamm Bediensteter ausgestattet. Ihr werdet wahrscheinlich keine Minute allein sein. Glauben Sie, ich würde Ihren Ruf kompromittieren, Nell?“
Irgendetwas sagte ihr, dass die contessa absolut nichts auf einen guten Ruf gab.
Luca rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Er schien von der ganzen Diskussion gelangweilt.
„Zu viele Frauen, mein Lieber?“, neckte ihn seine Mutter, als Molly zu ihnen gerannt kam.
„Für diese hier habe ich immer Zeit.“ Seine Stimmung hellte sich sogleich auf. Er schwang Molly in die Luft, und als Nell ihre Tochter begeistert lachen hörte, hatte sie ihre Entscheidung getroffen.
12. KAPITEL
Der Stamm der Bediensteten stellte sich als eine warmherzige Köchin samt Gatten heraus, der Nell in perfektem Englisch mitteilte, dass er Gärtner, Schneeschaufler und in Abwesenheit der Barbaros stellvertretender Hausherr war.
Das Chalet war wunderschön, längst nicht so groß wie der Palazzo, aber eindrucksvoll. „Du scheinst mit einer Fülle an Reichtümern gesegnet zu sein. Wo wir gerade beim Thema sind: Wo sind denn die anderen Bediensteten?“
„Es ist Spätsommer, wahrscheinlich sind sie im Urlaub.“
„Alle zugleich?“ Unter den gegebenen Umständen würden sie wahrscheinlich eine Menge Zeit zu zweit verbringen. Das Chalet war weiträumig genug, um sich dennoch aus dem Weg zu gehen.
Vielleicht hatte die contessa recht, dachte Nell, als sie die wunderschöne Aussicht aus ihrem Zimmer bewunderte. Diese Auszeit hatte sie gebraucht. Entspannt räumte sie ihre Wäsche in den Kleiderschrank ihres Zimmers.
„Abendessen um acht?“
Sie schrak zusammen, als Luca den Kopf zur Tür hereinsteckte. Ihre Schlafzimmer lagen in verschiedenen Gebäudeflügeln, was ihr eine gewisse Sicherheit vermittelt hatte. Umso überraschender war sein ungezwungenes Verhalten.
„Verzeihung, ich hätte anklopfen sollen.“
„Das hättest du.“
Es fiel ihm schwer, sich an die strengen Vorsätze zu halten, die er sich auferlegt hatte. Doch er hatte sich vorgenommen, Nell nach allen Regeln der Kunst zu umwerben. Als er nun jedoch ihren erschrockenen Gesichtsausdruck sah, wusste er, dass seine Karriere als respektvoller Galan nicht lange währen würde, wenn er sich nicht zusammenriss. Am liebsten hätte er sie umarmt und geliebt. Es war einfach zu lange her. Aber das durfte er nicht. Noch nicht.
„Wir sehen uns beim Dinner“, sagte sie bestimmt.
„Ich mache erst mal einen Spaziergang.“ Vielleicht kühltedie milde Nachtluft seine innere Hitze.
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