JULIA EXTRA BAND 0262
alte Griechin hatte ihn an jenem Tag tief beeindruckt durch ihre Freundlichkeit, ihre Gastfreundschaft und durch ihre starke Persönlichkeit. Knapp drei Monate nach Mariannas Tod überließ Lysander zu dieser Zeit die Firma seinen fähigen Mitarbeitern und war auf Reisen gegangen, um den Sinn in seinem Leben und einer Welt zu suchen, die er nicht mehr verstand.
Iphigenia hatte ihre gesamte Familie durch Krankheit verloren, einen nach dem anderen – den Ehemann, den Sohn und schließlich auch ihre Tochter. Trotzdem war sie nicht verbittert, sondern fest davon überzeugt, nach dem Tod all ihre Lieben wiederzusehen.
Instinktiv sandte Lysander ein Stoßgebet gen Himmel, dass ihr Glaube erfüllt würde – allerdings ohne diese göttliche Verheißung für sich selbst und seinen Sohn, den er nie kennenlernen durfte, in Anspruch zu nehmen. Denn in seinen eigenen Augen verdiente er diese Gnade gar nicht.
Er glaubte, ihm sei all dies nur zugestoßen, weil er tief in seinem Herzen die Untreue seiner Frau nicht hatte vergeben können.
Als er damals von seiner Inseltour in sein Haus zurückkehrte und den Film entwickelte, wusste Lysander sofort, dass es ihm gelungen war, etwas Außergewöhnliches, wenn nicht Einmaliges einzufangen. Er hätte Iphigenias Porträt mehr als ein Dutzend Mal lukrativ veräußern können, doch stattdessen überließ er es seinem Freund Ari für die Galerie.
„Dann sind Sie also professioneller Fotograf?“
„Neben einigen anderen Professionen … Ja.“
Lysander hatte nicht das leiseste Bedürfnis, dieser charmanten jungen Dame mitzuteilen, dass seine Haupteinnahmequelle die Reederei war oder dass sein jährliches Einkommen einige Millionen Dollar betrug. Sollte sie ruhig glauben, er verdiene sein Geld als Fotograf. Das erlaubte ihnen wenigstens ein freies, unkompliziertes Zusammensein, wie zum Beispiel jetzt bei dem gemeinsamen Mittagessen – ohne das lästige Gepäck seines berühmten Familiennamens und Reichtums.
„Stellen Sie Ihre Fotos auch noch woanders aus?“, wollte Eleni wissen.
„Noch nicht, aber ich bereite gerade zusammen mit einem Freund eine kleine Ausstellung in Athen vor.“
Er sagte ihr die Wahrheit, abgesehen davon, dass die Ausstellung an einem der wichtigsten und mondänsten Veranstaltungsorte Athens stattfand und der Freund, der ihn unterstützte, zufällig als einer der berühmtesten Fotografen der Welt galt. Dabei hatte das Ganze absolut nichts mit gesellschaftlicher Vetternwirtschaft zu tun. Einige von Lysanders Fotos, die in einer Fachzeitschrift veröffentlicht worden waren, hatten die professionelle Neugier des anderen Mannes erweckt, und so war ihr Kontakt zustande gekommen.
„Nun, dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg damit. Aber wenn die anderen Fotos auch nur annähernd die Qualität des Frauenporträts haben, bin ich ganz sicher, dass Sie mit Ihrer Begabung eines Tages noch Ihr Glück machen werden.“
Eleni lächelte ihm aufmunternd zu und zeigte dabei ihre ebenmäßigen, strahlend weißen Zähne. Lysander war überzeugt davon, dass sie sie als kleines Mädchen brav und pflichtbewusst drei Mal täglich geputzt hatte. Er musste über seine absurde Eingebung lächeln, ahnte aber instinktiv, dass an dieser atemberaubenden Schönheit mehr dran war, als er zunächst angenommen hatte. Sie wirkte wie jemand, der sich auch an kleinen Dingen freuen konnte, sich spontan inspirieren und mitreißen ließ, wie zum Beispiel heute morgen – ein Verhalten, das durchaus auf ein leidenschaftliches Wesen schließen ließ …
Während die Sonne auf sie herab brannte, verlor sich Lysander in einen angenehmen Tagtraum, wie er den restlichen Nachmittag damit verbringen würde, eben diese versteckte Leidenschaft, von der er ganz sicher war, dass sie in der schönen Fremden schlummerte, wecken und zu einer heißen Flamme entzünden würde. Und nicht den Bruchteil einer Sekunde empfand er ein Schuldgefühl wegen seiner erotischen Fantasien.
Er war nicht auf der Suche nach einer Seelenverwandten, nach der Frau seines Herzens. Was die emotionale Seite betraf, war er tot. Jetzt und in Zukunft gab es für Lysander nur noch eines, was er von all den attraktiven Frauen wollte, die unablässig und hartnäckig versuchten, sein Interesse zu wecken …
Gut, Eleni war nicht so aufdringlich und offensichtlich hinter ihm her, wie er es von ihren Geschlechtsgenossinnen gewohnt war. Wenn er es genau bedachte, hatte sie anfangs sogar versucht, ihm auszuweichen. Doch ihre Blicke sprachen
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