JULIA EXTRA Band 0276
unerwartete Frage brachte Charlie aus dem Gleichgewicht. Erst langsam dämmerte ihr, dass sie ihm selbst davon erzählt hatte.
„Ganz okay“, behauptete sie in leichtem Ton, wich seinem intensiven Blick aber vorsichtshalber aus. Sie hasste es, zu lügen, doch die Wahrheit war viel zu deprimierend, um sie auch noch mit jemand teilen zu wollen. „Müssen Sie sich nicht langsam auf den Weg nach London machen?“, wechselte sie geschickt das Thema und warf einen beziehungsvollen Blick auf ihre Uhr. Marco sollte beim BBC Promotion für sein neu erschienenes Buch machen – eine analytische Studie über die These, dass Liebe nicht das wichtigste Kriterium für eine Partnerschaft sei. „Es ist Freitagmorgen, und der Berufsverkehr in London ist einfach mörderisch.“
„Ich weiß, aber ich warte noch auf Sarah. Sie will mich begleiten und unterwegs noch ein paar Fragen mit mir durchgehen, von denen sie glaubt, dass man sie mir stellen könnte.“
„Oh, ich verstehe …“ Charlie schaltete ihren PC an und starrte konzentriert auf den noch dunklen Bildschirm. Sarah Heart war Marcos Agentin und Pressesprecherin, eine extrem agile, ehrgeizige Frau mit einem nicht zu erschütternden Selbstbewusstsein. Charlie fand sie nervtötend, aber sie war gut in ihrem Job, und nur das zählte schließlich, nicht wahr?
„Ich weiß nicht, wo sie so lange bleibt, aber wenn sie in den nächsten fünf Minuten nicht auftaucht, muss ich ohne sie fahren“, brummte Marco, wandte sich ab und starrte wieder aus dem Fenster auf die breite Auffahrt.
„Soll ich versuchen, sie per Handy oder Mail zu erreichen?“
„Habe ich längst probiert“, kam es knapp zurück. „Ich bekomme nur ihren Auftragsdienst.“
„Vielleicht steckt sie irgendwo im Stau.“
„Möglicherweise.“
Charlie runzelte die Stirn über die ungewohnte Einsilbigkeit ihres Bosses. Ob es an dem Interviewtermin lag? Merkwürdig. Normalerweise war er durch derartige Kleinigkeiten nicht aus der Ruhe zu bringen. Marco hatte kein Problem mit den Medien. Er war stets charmant, sprach grundsätzlich frei, gab sich amüsant und unterhaltend.
Und genau deshalb war er sehr gefragt in Funk und Fernsehen und auf diesem Sektor fast so etwas wie eine Berühmtheit geworden. Auch intellektuell beeindruckte er sein Publikum, und seine Bücher landeten regelmäßig in den Bestsellerlisten.
Wobei Charlie insgeheim die These vertrat, dass Marco Delmari hauptsächlich deshalb oben auf der Sympathiewelle schwamm, weil er so faszinierend und sexy war, dass es selbst auf ein so trockenes Thema wie Psychologie abfärbte.
Sie unterdrückte ein Seufzen, fischte ihre Lesebrille aus dem Aktenkoffer und setzte sie auf.
„Dann hat also dieser Dreamboy Ihren Erwartungen tatsächlich entsprochen?“
Die Frage kam unerwartet und war so persönlich, dass Charlie spürte, wie sie rot wurde.
„Nun …“ Sie brach ab, als Marco sich erneut umwandte und sie scharf musterte. Charlies Gesicht brannte vor Verlegenheit. Hätte sie Marco nur nie von dieser verflixten Verabredung erzählt! Und vor allem nicht, dass es sich dabei um ein Internet-Date handelte. Sobald die Worte heraus waren, hatte sie der Anflug von Widerwillen in seinen dunklen Augen auch noch dazu aufgestachelt zu behaupten, das sei heutzutage durchaus „in“. Jeder täte so etwas, und der in Frage kommende Mann sei ausgesprochen nett und charmant … sogar mehr als das – ein absoluter Dreamboy!
„Nun?“, drängte Marco.
„Er war ganz okay.“
„Wie schön für Sie, ich habe mir nämlich ein wenig Sorgen gemacht.“
Charlie schluckte. „Tatsächlich?“
„Ja, sich mit einem völlig Fremden zu treffen, birgt immerhin ein ziemliches Risiko.“
„Hmm …“ Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Innern aus. Es war so lange her, dass sich irgendjemand Gedanken um ihr Wohlbefinden gemacht hatte. „Aber ich war sehr vorsichtig und habe mich extra in einem gut besuchten Restaurant mit ihm verabredet. Und ich habe keinerlei persönliche Daten preisgegeben.“
„Gut, dann freut es mich, dass Sie einen schönen Abend hatten.“
„So schön dann auch wieder nicht“, gestand Charlie zögerlich. „Ehrlich gesagt, gab es zwischen uns absolut keine Gemeinsamkeiten.“
„Oh!“ Marco hob eine dunkle Braue. „Dann wird es kein zweites Rendezvous geben?“
Charlie schüttelte den Kopf und beschloss spontan, die Wahrheit zu sagen. „Es war schon schlimm genug, diesen Abend zu überstehen. Ich konnte es kaum erwarten, ihn
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