JULIA EXTRA Band 0276
gestand er. „Nach dem Tod meiner Mutter kam ich nach Athen. Ich war groß und sah viel älter aus als vierzehn. Deshalb habe ich schnell einen Job gefunden und Büros gestrichen. So bin ich Angelo Tyros begegnet.“
Innerlich zuckte Gina zusammen und hoffte inständig, dass Tyros nicht der Vater gewesen war, den Mikos nie hatte.
„Er hat sich für mich interessiert“, fuhr Mikos fort. „Wir haben ein Abkommen getroffen. Er bot mir ein Dach über dem Kopf, wenn ich meine Schule abschloss und nebenher auf seinem Grundstück aushalf. Zu jener Zeit lebte er mit seiner dritten Frau in Kifisia zusammen auf einem wunderschönen Anwesen.“
„Wie lange bist du bei ihm geblieben?“
„Mehrere Jahre. Viel länger als ich anfangs geplant hatte. Nach der Schule habe ich dann ein Studium angefangen.“
„Und er hat dafür bezahlt?“
„Das musste er nicht. Meine Noten waren sehr gut, und Angelo hatte die nötigen Verbindungen. Aber ich wohnte weiter bei ihm und wurde wie ein Familienmitglied behandelt, bis ich meinen Abschluss gemacht hatte.“
„Arbeitest du deshalb heute für ihn?“
„Ja und nein. Nach meinem Examen habe ich meinen Dienst beim Militär geleistet. Danach nahm er mich in die Firma auf und brachte mir eine Menge bei. Wenn ich heute erfolgreich bin, habe ich das nur ihm zu verdanken.“
„Also fühlst du dich ihm verpflichtet?“
Er zuckte die Schultern. „Ohne Frage schulde ich Angelo mehr, als ich jemals zurückzahlen könnte. Er war wie ein Vater für mich, und ich habe in seinem Herzen zum Teil den Platz seines verstorbenen Sohnes eingenommen. Andererseits empfinde ich meine Arbeit als sehr erfüllend und habe keinen Grund, mich nach mehr zu sehnen.“
Wie betäubt blickte sie ihn an.
„Genug von mir“, sagte er. „Erzähl mir etwas von dir! Wann hast du gemerkt, dass etwas ernsthaft nicht stimmt mit deiner Mutter?“
Mühsam riss sie sich zusammen. „Es hat noch etwa ein Jahr gedauert. Wir haben beide gemerkt, dass ihre Vergesslichkeit langsam pathologische Züge annahm.“
„Wie habt ihr reagiert?“
„Wir haben den Arzt gerufen, der dann ein paar Tests veranlasst hat. Wir wurden nach Vancouver geschickt, um eine Bestätigung für unsere Befürchtungen zu bekommen. Wir waren natürlich am Boden zerstört.“
„Außer dir hatte sie niemanden mehr“, schloss er. „Und das führt zu dem Versprechen, das du ihr gegeben hast.“
„Ja. Es hatte mit unserem Haus zu tun, das direkt am Strand liegt. Alles Gute im Leben war ihr nur dort widerfahren. Sie ist dort geboren worden, in dem Eisenbett, das ihre Großmutter 1896 aus Irland mitgebracht hatte. Auf dem Rasen vor dem Haus hat sie meinem Vater das Jawort gegeben, und seine Asche sowie die Asche meiner Großmutter sind im Rosengarten verstreut worden. Ich musste ihr versprechen, dass sie auch dort sterben darf.“
Mikos drückte ihre Hand.
„Für Alzheimerpatienten ist es extrem wichtig, in vertrauter Umgebung zu bleiben“, fuhr sie mit schwacher Stimme fort und brach dann in Tränen aus.
Er war sofort an ihrer Seite und nahm sie in den Arm. „Schon gut“, beruhigte er sie. „Hast du Angst, du könntest dein Versprechen nicht halten?“, fragte er besorgt.
Sie nickte und weinte noch mehr.
„Aber warum, agape mou ?“
„Ich kann nicht mehr allein für ihre Sicherheit sorgen. Und jetzt muss ich ihr das antun, was sie nie gewollt hat, und sie in ein Pflegeheim einweisen lassen.“
„Ist das tatsächlich die letzte Möglichkeit?“
„Ich denke schon. Nicht heute oder morgen, aber sehr bald. Unser Arzt hat mir keine große Hoffnung mehr gemacht. Mittlerweile verschlechtert sich ihr Zustand nur noch.“
Sam Irvings genaue Worte waren: Was du versuchst, ist nicht mehr menschenmöglich, mein Kind! Kochen, putzen und eine Pension führen, das ist schon ein Vollzeitjob. Ganz zu schweigen von den Arbeitsstunden, die man in ein so altes Haus stecken muss. Du kannst nicht die Leiter hochsteigen und die Dachrinne reinigen, die Fassade neu streichen und gleichzeitig nach deiner Mutter sehen. Ihre Betreuung ist ebenfalls ein Vollzeitjob, selbst für eine Fachkraft.
„Dann brauchst du eben Hilfe rund um die Uhr“, verkündete Mikos wie selbstverständlich. „Stelle ein Team von Pflegekräften ein, die dich entlasten!“
Das kostet Geld, das ich nicht habe, widersprach sie still. Aber so etwas gestand man keinem Mann, mit dem man gerade geschlafen hatte. Es schmeckte zu sehr danach, als wollte man für die gemeinsame
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