JULIA EXTRA Band 0281
erklärte Maggie. „Meistens Klassik. Manchmal hörte ich wochenlang immer wieder dasselbe Stück, was alle anderen fast wahnsinnig machte.“
Sie verstummte und erwartete, dass er nun fragte, wer „alle anderen“ wären, aber er blickte sie weiterhin nur an, einen sorglosen Ausdruck auf dem Gesicht.
Es hatte, wie sie fand, viel Charakter und würde sich gut malen lassen, vor allem mit den intelligent blickenden Augen als Mittelpunkt … nicht, dass sie daran dachte, ihn zu malen! Nein, wirklich nicht.
„Ich habe dieses Lied auf CD“, sagte Tom nun. „Die leihe ich Ihnen gern.“
„Tatsächlich könnte ich Hilfe jeglicher Art brauchen“, gestand Maggie.
„Haben Sie einen iPod?“, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. Leider hatte sie nicht daran gedacht, ihren iPod oder den CD-Player einzupacken, als sie Melbourne blind vor Wut verlassen hatte. Sie hatte nur daran gedacht, so schnell wie möglich zu flüchten …
Vielleicht konnte sie sich ein kleines gebrauchtes Stereogerät leisten? Und wieder Musik hören – ein neues Lied für ein neues Bild?
„Warum brauchen Sie Hilfe?“, wollte Tom wissen.
„Ich komme mit dem Bild nicht weiter“, erklärte sie ohne zu überlegen und war von ihrer Ehrlichkeit total überrascht. „Oh! Ich kann nicht glauben, dass ich das laut gesagt habe. Bisher habe ich es nie jemandem erzählt, wenn ich eine Blockade hatte.“
„Warum denn nicht? Man darf doch gelegentlich eine schlechte Phase haben.“
„Ja, aber man kann einmal gesagte Worte nie mehr zurücknehmen. Und irgendwie habe ich wohl Angst, dass aus meinem Bild tatsächlich nichts mehr wird, wenn ich behaupte, es tauge nichts.“
Plötzlich fiel ihr auf, dass sie ihr ganzes Leben nach diesem Muster führte: Sie versuchte, schlechte Phasen lächelnd zu überspielen, nichts zu sagen und ihre Gefühle nur auf der Leinwand einzugestehen.
Und nun sah sie ja, wohin sie das gebracht hatte. Hier stand sie: allein und ohne Geld.
Tom rutschte ein Stück beiseite, um ihr neben sich Platz zu machen. Falls sie sich neben ihn setzen wollte.
Sie brauchte nicht lange, um zu beschließen, dass sie es wollte. Geschickt schwang sie sich auf die warme Ladefläche und ließ die Beine baumeln.
„Mir gefällt Ihr Bild“, bemerkte Tom.
„Das kann nicht sein.“ Sie sah ihn an und fand, dass seine Augen aus der Nähe noch eindrucksvoller waren.
„Doch! Blau ist meine Lieblingsfarbe“, versicherte er. „Und davon ist auf dem Bild ja viel zu sehen.“ Er schien ein Lächeln zu unterdrücken.
„Banause!“, nannte sie ihn und musste ihrerseits ein Lächeln verbergen.
Nach einigen Augenblicken freundschaftlichen Schweigens wollte Tom wissen: „Was soll das Bild denn darstellen?“
Maggie lachte und entspannte sich ein bisschen. Sie hätte gern behauptet, es sei der Blick aus dem Fenster aufs Meer, aber das hätte ihr niemand abgenommen.
„Es ist das bislang letzte Bild einer Serie von Studien in Blau“, erklärte sie. „Und wenn Ihnen die Farbe tatsächlich so gut gefällt, können Sie es gern haben.
Tom nickte. „Abgemacht! Aber nur, wenn ich es als Bezahlung für meine Arbeit bekomme.“
Sie wollte ablehnen, denn wie sollte er überleben, wenn er sich nicht für seine Arbeit von ihr bezahlen ließ? Doch dann schien ihr ein Teufelchen ins Ohr zu flüstern, sie solle das Angebot annehmen, denn sie brauchte ihr Geld selber dringend. Ihr Gewissen hielt ihr allerdings vor, dass sie seine Gutmütigkeit weidlich ausnutzte.
Schließlich ignorierte sie die Stimme ihres Gewissens. „Okay. Einverstanden.“
Dass Tom noch vor einem Jahr mit einem Bild von ihr ein gutes Geschäft gemacht hätte, konnte sie nicht ändern. Es war einfach Pech, dass sein Timing nicht stimmte.
Er lehnte sich zurück. „Das Bild ist noch nicht fertig, stimmt’s?“
„Woher wissen Sie das?“
„Sie würden nicht so viel Zeit damit verbringen, es prüfend anzublicken, wenn es fertig wäre, oder?“, vermutete er.
Dass er sie nach kurzer Bekanntschaft schon durchschaute, verstörte sie. Sie zuckte nur die Schultern und blickte den Hang hinauf zum Tor ihres Grundstücks.
„Sie haben mir zwei Wochen zugestanden, um das Dickicht zu roden“, sagte Tom. „Ich gebe Ihnen vierzehn Tage, um das Bild fertig zu malen.“
„Zwei Wochen? Bei meinem jetzigen Tempo dauert es zwei Jahre, bis ich fertig bin!“
Er überlegte kurz. „Sie haben doch gesagt, Sie arbeiten besser, wenn man sie unter Druck setzt.“
Unwillkürlich lächelte sie,
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