JULIA EXTRA Band 0286
sie ihm das nicht einmal übel. Nur zu gut konnte sie sich vorstellen, wie Agnes Dwyer zumute wäre, wenn ihr die Hintergründe der bevorstehenden Hochzeit zu Ohren kämen.
„Mia!“, rief die alte Dame erfreut und streckte ihr die Hand entgegen. „Was für eine nette Überraschung.“
Mia trat ans Bett und reichte ihr einen Strauß bunter Gerberas. „Wie geht es Ihnen, Agnes? Ich hoffe, die Blumen gefallen Ihnen.“
„Ich finde sie wunderschön. Wie aufmerksam von Ihnen, mein Kind! Sie sind genau das Richtige für ein Krankenzimmer. Können Sie den Strauß bitte dort auf den Tisch neben dem Fenster stellen, wo ich ihn sehen kann.“
Nachdem Mia eine Vase genommen und die Blumen versorgt hatte, zeigte Agnes mit einer Geste auf den Stuhl neben ihrem Bett. „Kommen Sie! Und erzählen Sie mir, wie es mit den Hochzeitsvorbereitungen vorangeht.“
Mia setzte sich, und die Kranke ergriff ihre Hand. „Ich hatte gehofft, dass Sie mich einmal allein besuchen kommen. Ich möchte mich gern ein bisschen mit Ihnen unterhalten, von Frau zu Frau sozusagen.“
„Oh …“
Eine kleine Pause trat ein, dann fuhr Agnes fort: „Ja, über meinen Großneffen … Das Zusammenleben mit Bryn wird nicht einfach sein, wenigstens am Anfang. Ich mache mir Vorwürfe, weil Sie meinetwegen so schnell heiraten müssen. Es wäre besser gewesen, wenn Sie Zeit gehabt hätten, sich erst ein wenig kennenzulernen. Dass Sie ihn lieben und er Sie, ist offensichtlich, aber das heißt nicht, dass er es Ihnen leicht machen wird.“
Mia schwieg, doch ihr Herz klopfte ein wenig schneller.
„Er … ist sehr verschlossen und hat sich bis jetzt nie von Gefühlen leiten lassen. Ich wusste, dass nur eine ganz besondere Frau ihn dazu bringen kann, seine Meinung über die Ehe zu ändern. Deshalb bin ich auch so glücklich, dass er Ihnen begegnet ist.“
„Danke, Agnes.“ Nur mühsam hielt sie dem eindringlichen Blick der alten Dame stand.
„Sehen Sie, Bryn hat den Tod seiner Eltern nie verwunden.“
„Es … es war ein Autounfall, nicht wahr?“
„Ja – ein Frontalzusammenstoß, an dem keiner wirklich schuld war. Der Fahrer des anderen Wagens war ein junger Mann, der in einer Kurve die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor. Nicht, weil er betrunken war oder zu schnell fuhr, so war es nicht. Er war einfach noch unerfahren, weil er erst kurz davor den Führerschein gemacht hatte, und da … da ist es eben passiert. Das Schicksal hat es so gewollt. Wenn mein Neffe die Biegung ein paar Sekunden früher oder später erreicht hätte, wären er und seine Frau heute nicht tot.“ Traurig schüttelte sie den Kopf. „Und Bryns Leben wäre ganz anders verlaufen.“
Mia schluckte. „Sie haben so viel für ihn getan …“
„Das stimmt. Aber seine Eltern konnte ich ihm nicht ersetzen. Er war ein sehr unglücklicher kleiner Junge, und bis heute hat er es nicht über sich gebracht, dem armen jungen Mann zu verzeihen. Das ist etwas, das ihm noch nie leicht gefallen ist. Viele finden ihn hart; ich glaube, er ist einfach oft unnahbar und sehr eigenwillig.“ Sie lächelte ein wenig. „Das werden Sie früher oder später auch zu spüren bekommen.“
„Damit komme ich zurecht – ich lasse mich nicht so schnell unterkriegen.“
„Umso besser, Sie werden innere Stärke brauchen. Bryn kann ein wundervoller Freund sein … und ein unerbittlicher Feind. Aber ich bin zuversichtlich – Sie werden es bestimmt schaffen. Ihre Liebe wird das Eis um sein Herz schmelzen lassen.“
„Ich werde mein Bestes geben.“
Agnes drückte ihr sanft die Hand. „Das weiß ich. Sind Sie aufgeregt bei dem Gedanken an die Hochzeit?“
„Ein bisschen nervös, um ehrlich zu sein.“
„Das ist nur zu verständlich, wenn alles so schnell gehen muss. Und nur wegen mir …“
„Machen Sie sich keine Gedanken, Agnes. Bryn und ich wollten von Anfang an so schnell wie möglich heiraten.“
„Jetzt verrate ich Ihnen etwas, Mia, aber das bleibt unter uns. Ich war auch einmal verliebt und wollte heiraten.“ Sie seufzte leise. „Damals war ich nicht mehr jung, aber das machte keinen Unterschied. Und dann, kurz vor unserer Hochzeit, kam es zu dem Unfall. Mein Verlobter fühlte sich der Verantwortung für ein fremdes Kind nicht gewachsen und stellte mich vor die Wahl – er oder Bryn.“
„Und Sie haben sich für Bryn entschieden …“
Agnes nickte. „Ja. Es war nicht einfach, denn ich habe meinen Verlobten sehr geliebt. Nur … Wie konnte ich einen unschuldigen verwaisten
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