JULIA EXTRA Band 0287
auf den Jungen hat, wenn er erfährt, dass sein Vater ein Verbrecher ist.“
„Hat sie das gesagt?“ Raymond war bleich geworden.
„Nein … nicht wörtlich …“ Audrey kaute auf ihrer Unterlippe. „Sie sagte nur, die Wahrheit würde wie eine Bombe einschlagen. Sie droht sogar damit, die Geschichte an die Presse zu verkaufen. Daher habe ich angenommen, Daniels Vater wäre ein schlechter Mensch und das wäre auch der Grund für Jasper, es all die Jahre für sich zu behalten, um Daniel zu schützen.“
„Nein, das hat er nicht“, sagte Raymond langsam. „Er hat nicht Daniel geschützt.“
„Nein?“ Verwundert starrte Audrey ihn an. „Wen denn sonst?“
Tiefe Traurigkeit stand in Raymonds haselnussbraunen Augen. „Mich.“
„Dich?“, fragte sie fassungslos. „Wieso sollte er dich schützen wollen? Du bist doch Priester und …“ Sie unterbrach sich, als sie die Wahrheit ahnte.
Raymond holte mühsam Luft. „Ich bin Daniels Vater.“
17. KAPITEL
Audrey brachte kein Wort hervor.
Raymond erhob sich und fuhr sich mit zitternden Fingern durch das lichte Haar. „Ich habe es versucht, aber ich konnte nie vergessen, dass ich mein Versprechen dem Herrn gegenüber gebrochen hatte. Ich habe ihn um Vergebung gebeten für diesen einen Fehltritt und bin meinen Weg weitergegangen. Schon als Chorknabe wollte ich Priester werden. Nichts sollte mich davon abhalten, der Gemeinde zu dienen.“ Er sah sie traurig an. „Ich hatte keine Ahnung, dass Daniel mein Kind ist. Die ganze Zeit über dachte ich, Jasper sei der Vater. Jeder hat das angenommen – so wie er lebte. Ich habe nur ein einziges Mal einen Fehler begangen, aber nie erfahren, welche Auswirkungen er hatte.“
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll … Das muss ein Schock für dich sein“, sagte sie. „Es tut mir so leid. Ich hatte ja keine Ahnung. Ich bin nur hergekommen, weil ich mit dir über mein eigenes Dilemma sprechen wollte.“
„Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich keine Antworten, Audrey“, erwiderte er. „Normalerweise bin ich derjenige, der Rat und Zuspruch gibt, und doch weiß ich jetzt nicht, was ich tun soll. Und ich muss an den Jungen denken, der seinen leiblichen Vater nie kennengelernt hat.“
„Ich glaube, June Beckforth und ihr Sohn irren sich. Sie meinen, dass Daniel enttäuscht sein wird, wenn er die Wahrheit erfährt, aber das denke ich nicht. Vielleicht ahnt Daniel die Wahrheit bereits. Er und Jasper stehen sich sehr nahe.“
Raymond warf ihr einen gequälten Blick zu. „Ich werde mich öffentlich zu ihm bekennen müssen. Was wird meine Gemeinde von mir denken?“
Audrey stand auf und drückte ihm tröstend den Arm. „Sie werden dich sehr menschlich finden, Raymond. Niemand ist perfekt. Und wenn Gott dir vergibt, warum soll deine Gemeinde dir nicht vergeben?“
Er lächelte zögernd. „Du bist eine weise junge Frau, Audrey. Jasper kann sich glücklich schätzen.“
„Nur noch für wenige Tage … Er will sich immer noch scheiden lassen.“
„Dann werde ich um ein Wunder beten“, versprach er ihr gefühlvoll. „Geh heim zu ihm, und erzähl ihm von dem Baby. Ich wünschte, ich hätte von meinem Kind schon viel früher erfahren.“
„Selbst wenn du verloren hättest, was den Sinn deines Lebens ausmacht?“, fragte sie.
„Ich hätte nicht mehr verloren als Jasper meinetwegen. Unser Vater hat nur noch das Allerschlechteste von ihm gedacht. Jasper verdient, dass dieser Makel endlich von ihm genommen wird.“
„Er und Miriam haben damals getan, was sie für das Beste hielten“, betonte Audrey. „Jasper wusste, was dir dein Glauben bedeutet. Er hätte alles getan, damit du dir deine Träume verwirklichen kannst.“
Raymond seufzte schwer. „Und ich bin schuld, dass er seine dafür aufgeben musste …“
Als Audrey eine Stunde später das Wohnzimmer betrat, marschierte Jasper rastlos auf und ab. Er hörte sie kommen und wirbelte herum.
„Wo zum Teufel bist du gewesen?“
„Ich habe Raymond besucht. Ich wollte …“
„Hättest du die Güte, mir dies hier zu erklären?“, unterbrach er sie und hielt ihr den Schwangerschaftstest hin.
Audrey lief es kalt über den Rücken. „Wo hast du das gefunden?“
„Ich nicht, sondern Rosario. Sie kam freudestrahlend die Treppe herunter und gratulierte mir überschwänglich. Aus ihrer Reaktion kann ich nur schließen, dass der Test positiv verlaufen ist!“
Sie schluckte. „Ja … ja, ist er.“
„Ich habe mir die Freiheit genommen, ein paar Sachen
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