Julia Extra Band 0292
als Libby Wochen später noch einmal nach Italien zurückkehrte, um einige von ihren und Lucas Sachen abzuholen.
Sie wollten Giorgio adoptieren. Ihn als ihr eigenes Kind aufziehen. Konnte sie denn nicht begreifen, dass dem Jungen durch Lucas Familie viel mehr Privilegien und Zukunftsaussichten geboten wurden, als wenn er ein ärmliches Dasein bei seiner alleinerziehenden Mutter und einem todkranken Großvater fristen musste? Sollten sie etwa mit ansehen, wie ihrem einzigen Enkel all das vorenthalten wurde, was sie ihm bieten konnten? War Libby tatsächlich so selbstsüchtig?
Natürlich hatte sie den Vorschlag von Lucas Eltern empört abgelehnt und sich geweigert, eine so ungeheuerliche Idee auch nur zu diskutieren. Sie wollte ihr Baby bei sich haben und für ihren kranken Vater sorgen. Sicher würden sie auch harte Zeiten erleben, aber die Liebe zu ihrem kleinen Sohn wog alles wieder auf, dessen war Libby sich ganz sicher gewesen.
Sie würde es schaffen! Anderen alleinstehenden Müttern gelang es doch auch, oder etwa nicht?
Doch das Bombardement ging weiter und mündete immer wieder im gleichen Vorwurf. Wie konnte sie so selbstsüchtig sein und nur an ihr eigenes Glück denken? Sogar ihr Vater gab vorsichtig zu bedenken, dass ihre Schwiegereltern doch eigentlich nur das Wohl des kleinen Giorgio im Auge hätten, und bat seine Tochter, sorgfältig darüber nachzudenken. Sie war so jung. Das ganze Leben lag noch vor ihr …
Verwirrt und verzweifelt hatte sie sich an ihr Kind geklammert. Sie wollte ihren kleinen Sohn nicht aufgeben! Obwohl der ausgeübte Druck auf sie nahezu unerträglich war, weigerte Libby sich standhaft, ihm nachzugeben. Bis Maurizio Vincenzo mit seinem grausamen Ultimatum herausrückte …
Fast blind vor Tränen lenkte Libby den Wagen in die für sie reservierte Parklücke vor dem prächtigen georgianischen Apartmenthaus. Sie stieg aus, schloss den Porsche ab und taumelte ungeachtet des strömenden Regens die Stufen zum Eingang hinauf, während sie versuchte, ihre Erinnerung vor der bitteren Wahl zu verschließen, zu der Lucas Vater sie gezwungen hatte.
Während sie im Lift zur ersten Etage hinaufglitt, in der ihr luxuriöses Apartment lag, ging ihr nur noch eines durch den Kopf: Wie unglaublich verletzlich und verzweifelt sie damals gewesen war, als sie sich hatte überreden lassen, das Dokument zu unterschreiben, mit dem sie ihren kleinen Sohn Lucas Familie überließ. Und wie jung, naiv und unbedarft zu glauben, sie könne ihr Baby eines Tages wieder zurückbekommen.
Ein aufdringliches Läuten an der Haustür ließ Libby genervt aufstöhnen.
Nach ihrem Entschluss, an diesem schrecklichen Abend auf keinen Fall noch auszugehen, hatte sie sich ein heißes Entspannungsbad gegönnt und sich etwas Bequemes angezogen. Auf späten Besuch war sie überhaupt nicht eingerichtet.
„Überraschung!“ Fran und ein gutes Dutzend weiterer Kollegen drängten sich vor ihrer Apartmenttür und schwangen Champagnerflaschen über ihren Köpfen.
„Da du dich offensichtlich entschieden hast, nicht auf der Party zu erscheinen, dachten wir … bringen wir die Party einfach zu dir!“, erklärte eine junge Frau, die Libby völlig unbekannt war, mit erhobener Stimme und erntete dafür Gelächter und Applaus von den anderen.
„Ich kann nicht, tut mir wirklich leid“, protestierte Libby über das Knallen der Champagnerkorken hinweg, doch ihre ungebetenen Gäste strebten einfach an ihr vorbei. Während einige Gläser aus ihrem Wohnzimmerschrank nahmen, stellte irgendjemand den CD-Player an, und übergangslos wiegte sich die Partymeute hingebungsvoll zu schwülen karibischen Klängen, die aus dem Lautsprecher schallten.
Libby hätte am liebsten ihren Frust laut herausgeschrien und die ganze Bagage rausgeworfen. Nach Romanos unerwartetem Besuch hatte sie die geplante Party völlig vergessen. Sie hatte wichtige Entscheidungen zu treffen, über die sie in Ruhe nachdenken wollte.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Fran mit einem forschenden Blick in Libbys blasses, angestrengtes Gesicht.
„Nein!“, gab sie unumwunden zurück. „Ich will einfach nur allein sein!“
„Aber das bist du doch ständig“, hielt Fran ihr vor. „Wir wollten nur, dass du dich nicht schon wieder von einer Party ausschließt und … Hey, alles okay?“ Besorgt musterte die Maskenbildnerin Libbys angespanntes Gesicht und gab sich dann einen Ruck. „Alle mal herhören!“, rief sie über den Lärm hinweg. „Rückzug ist angesagt!
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