Julia Extra Band 0292
seine Einladungen zu sich nach Murrawinni immer mit der Begründung ausgeschlagen, sie habe zu viel zu tun.
Es war schrecklich, ihn so auf Abstand halten zu müssen, und sie wusste, dass es ihm das Herz brach, aber sie konnte nicht anders. Wenn sie sich weiterhin so nahe wie früher gewesen wären, hätte er unweigerlich begonnen, Fragen zu stellen.
Fragen über den Tod ihres Stiefvaters und die Rolle, die ihre Mutter dabei gespielt hatte.
Fragen, die sie, Simone, nicht beantworten konnte – oder vielmehr nicht beantworten durfte, da sie ihrer Mutter geschworen hatte, niemals einem Menschen zu erzählen, was damals wirklich passiert war.
Ob ihrer Mutter klar gewesen war, was sie ihr mit diesem Versprechen aufbürdete?
Das schreckliche Geheimnis hatte nicht nur das herzliche Verhältnis zu ihrem Großvater zerstört, es war auch der eigentliche Grund, warum ihre Beziehungen zu Männern bisher alle gescheitert waren.
Mittlerweile empfand Simone das ganze Spiel, Männer kennenzulernen und mit ihnen auszugehen, als absoluten Stress.
Immer, wenn sie mit einem neuen Mann verabredet war, hoffte sie, er wäre nun endlich der einzig Richtige. Sie hätte sonst etwas dafür gegeben, sich hingebungsvoll, leidenschaftlich und auf ewig in einen wunderbaren Mann zu verlieben, aber das Geheimnis verhinderte es. Nie konnte sie unbefangen und völlig offen sein.
Dort oben im Himalaja war ihr die erschreckende Einsicht gekommen, dass ihre Mutter einen Fehler gemacht hatte, als sie ihr das Versprechen abnahm, über den Tod ihres Stiefvaters zu schweigen. Es hatte ihr Leben belastet und zur schmerzlichen Trennung von ihrem Großvater geführt.
Nun muss ich den Mut finden, ihm alles zu erzählen, sagte sich Simone.
Und es musste schnell passieren, denn wenn jemand ihr Tagebuch an sich genommen und herausgefunden hatte, wer sie war, konnte er – oder sie – ihrem Großvater die ganze Geschichte erzählen, und dann würde er ihr bestimmt nie, niemals verzeihen.
Bei diesem Gedanken brannten ihr Tränen in den Augen, und sie biss sich auf die Lippe, um nicht zu weinen.
Dann knipste sie die Lampe auf dem Schreibtisch an und begann, die E-Mails ihrer beiden Verbündeten Claire und Belle so optimistisch wie möglich zu beantworten.
Mit einem flauen Gefühl im Magen wählte Simone am nächsten Morgen die Nummer ihres Großvaters. Seine Haushälterin Connie Price nahm den Anruf entgegen.
„Guten Tag. Hier Simone. Ich würde gern …“
„Wer spricht da, bitte?“
„Ich bin’s, Simone. Simone Gray. Mr. Daintrees Enkelin.“
„Die Simone?“ Connie klang überrascht. „Lieber Himmel, Kindchen, das wird ein ziemlicher Schock für Ihren Großvater. Es ist so lange her, seit Sie sich gemeldet haben.“
Simone wurde es immer elender zumute. „Es geht ihm doch hoffentlich gut? Ich möchte ihn nicht aufregen. Nicht dass er womöglich krank wird.“
„Keine Sorge, die Gefahr besteht nicht. Er ist gesund und munter. ‚Fit wie ein Turnschuh‘, würdet ihr jungen Leute sagen. Hält uns hier alle auf Trab. Moment, ich hole ihn an den Apparat.“
Connie brauchte allerdings länger als nur einen Moment, und Simones Herz begann wie rasend zu pochen. War ihr Großvater womöglich so wütend, dass er nicht mit ihr sprechen wollte? Oder würde er sie mit unzähligen Fragen bestürmen?
„Simone?“, klang schließlich wieder Connies Stimme aus dem Hörer. „Es tut mir leid, aber … Na ja, Ihr Großvater ist manchmal schon ein bisschen starrsinnig.“
„Was genau heißt das? Will er nicht mit mir reden?“ Simone hätte am liebsten geweint. „Ich hatte so gehofft, ich könnte ihn besuchen. Ich muss ihm unbedingt etwas …“ Sie konnte nicht weitersprechen, ihre Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt.
„Ich bin mir sicher, er wird bald einlenken, Kindchen. Der Anruf war doch ein Schock für ihn. Nach der langen Zeit.“
„Ja, verstehe. Vielleicht kann er mich ja dann anrufen.“ Sie klang verzweifelt. „Wenn er nicht mehr böse auf mich ist.“
Simone diktierte Connie noch ihre Telefonnummer, bevor sie sich verabschiedete und auflegte.
Mutlosigkeit überfiel sie. Nicht nur hatte sie das Tagebuch verloren, jetzt wollte auch ihr einziger Angehöriger nichts mehr von ihr wissen! Was konnte denn noch alles geschehen?
Schon nach wenigen Tagen freiwilligen Urlaubs fing Ryan an, sich zu langweilen. Unwiderstehlich zog es ihn in die Redaktion des Sydney Chronicle , der Zeitung, für die er früher gearbeitet hatte.
Dort wurde
Weitere Kostenlose Bücher