Julia Extra Band 0292
bestimmt.“
Der Junge starrte auf den Bürgersteig, schließlich hob er seufzend den Blick. „Schwörst du mir, dass er okay ist?“
„Ja, das schwöre ich dir.“
„Na gut. Dann kann’s ja wohl nicht schaden“, murmelte Homer.
Simone kam sich beinah wie eine Glucke mit drei Küken vor, als sie mit ihrer kleinen Schar auf Ryan zuging, der ihr lächelnd entgegenblickte.
„Und wohin gehen sie jetzt?“, fragte Ryan nach dem Essen, als die Kinder in der Dunkelheit verschwanden.
Er war bei den dreien gut angekommen. Pink war so hingerissen, dass sie noch schüchterner wurde als sonst und nicht viel sagte, aber die Jungen waren richtig aufgetaut und hatten ihn mit allen möglichen Fragen bestürmt.
David, der sich zu einem begeisterten Schwimmer entwickelte, wollte vor allem wissen, wie man surfte. Homer, der praktisch Denkende, interessierte sich vor allem dafür, ob man Geld verdienen konnte, wenn man die Surfbretter wachste oder sonstige Wartungsarbeiten daran ausführte.
„Wir wissen nicht, wohin die Kinder gehen, und wir fragen auch nicht“, erklärte Simone. „Pink hat erzählt, dass sie zwar ein Zuhause habe, aber die Verhältnisse dort seien so schlimm, dass sie sich lieber herumtreibt und nur gelegentlich zu ihrer Mutter geht. Bei den Jungen habe ich keine Ahnung.“ Traurig schüttelte sie den Kopf. „Wenn wir sie fragen, verlieren sie das Zutrauen, also lassen wir es lieber.“
Sie schaute zu Ryan und las in seinem Blick so viel Mitgefühl und Verständnis, dass sie ihn am liebsten gleich auf dem Bürgersteig umarmt und geküsst hätte.
„Ich muss irgendwo eine Grenze ziehen“, erläuterte sie weiter. „Im Moment bringe ich ihnen das Schwimmen bei. Mehr kann ich nicht für sie tun. Man kann Vertrauen ja nicht erzwingen.“
„Wie hast du sie kennengelernt?“, wollte Ryan wissen.
„Durch eine Reportage über Straßenkinder. Ich habe Streetworker, Sozialarbeiter und Vertreter der Behörden interviewt, die mir die Augen für das Problem geöffnet haben. Und dann hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Zuerst habe ich einmal pro Woche in einer Suppenküche gearbeitet, dann habe ich von dem Sportprojekt gehört und fand, dass ich da nützlicher sein könnte.“
Selbstironisch lächelte sie zu ihm auf.
„Die meisten Kinder wollten in Teams, aber meine drei Kids können sich nicht gut anpassen, geschweige denn unterordnen. Und da dachte ich mir, wir Einzelkämpfer müssen zusammenhalten. Ich schwimme leidenschaftlich gern, und damit war dann auch die Sportart geklärt.“
„Das ist wirklich ein tolles Projekt“, sagte Ryan anerkennend und nahm sie bei der Hand. „Und was machen wir beide jetzt noch?“
„Ich sollte nach Hause.“ Allein, zu einer Tasse Kakao und einem guten Buch, fügte sie im Stillen hinzu.
Ryan hatte anderes im Sinn. „Lass uns noch ein bisschen am Strand spazieren gehen. Danach setzen wir uns in den Sand und hören der Brandung zu. Es wird dir bestimmt gefallen“, fügte er schmeichelnd hinzu. „Ich kann mir fast nichts Schöneres vorstellen. Es ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen.“
Ja, aber es klingt gefährlich romantisch, dachte Simone und kämpfte gegen die Versuchung an. Ganze zwei Sekunden lang. Ryan war so nett zu ihren Schützlingen gewesen, da konnte sie ihm jetzt auch einen Wunsch erfüllen. Als Gegenleistung sozusagen.
Der Sand war noch warm, vom Wasser her wehte eine leichte, nach Salz und Tang duftende Brise. Seite an Seite saßen Simone und Ryan nach dem Spaziergang da und blickten auf das dunkle Meer, auf das der fast volle Mond eine silberne Bahn malte.
Ryan genügte es, Simone zu beobachten, während sie mehr über ihre Schützlinge erzählte. Über die traurigen Verhältnisse bei Pink zu Hause, über Davids Entzugsprogramm oder wie Homer, dessen Mutter an einer Überdosis Heroin gestorben war, sich durchschlug, indem er bei einem Supermarkt die Einkaufswagen vom Parkplatz zurückbrachte.
„Diese Kinder haben echte Probleme. Dagegen sind die Schwierigkeiten, die ich mit meinem Vater habe, reine Lappalien“, meinte Ryan schließlich zerknirscht.
„Ja, die Straßenkinder haben wirklich Mumm“, lobte sie. „Wenn man bedenkt, was sie alles an Misshandlung und Gewalt erleiden, ist es wie ein Wunder, dass sie trotz allem der Welt der Erwachsenen jeden Tag von Neuem die Stirn bieten.“
„Du engagierst dich wirklich leidenschaftlich für deine Schützlinge“, bemerkte er bewundernd.
„Ja. Weil ich selber ein Straßenkind
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