Julia Extra Band 0292
hätte werden können“, gestand sie leise.
„Du meinst, du wärst beinah mal von zu Hause weggelaufen?“
Sie nickte. „Mein Stiefvater … war Alkoholiker. Er hat meine Mutter verprügelt. Immer wieder.“
Ein eiskalter Schauder überlief Ryan. Ihm wurde mit einem Mal klar, dass dieser Stiefvater die Ursache für Simones Probleme war. Dass ihr dunkles Geheimnis, auf das sie einmal angespielt hatte, mit ihm zu tun hatte.
Nervös zeichnete sie Linien in den Sand, in ihren Augen schimmerten Tränen. „Tut mir leid, ich kann nicht darüber reden. Nicht mal mit dir“, rief sie und sprang auf.
Dann lief sie zum Wasser. Und weiter den Strand entlang.
Und nun?, fragte Ryan sich. Wollte sie, dass sie ihm folgte? Oder blieb sie lieber allein?
Da er sich nicht aufdrängen wollte, wartete er ab.
Plötzlich blieb sie stehen. Sie drehte sich um und sah zurück. Zu ihm. Ihr Haar schimmerte im Mondlicht wie gesponnenes Silber, ihre schlanke Gestalt war von sanftem Licht umflossen.
Sie war schön wie eine Märchenfee.
Dann kam sie zu ihm zurück und kniete sich neben ihn.
Wenn ich ihr doch helfen könnte, wünschte Ryan sich leidenschaftlich. Es war klar, dass sie irgendwann etwas Schreckliches erlebt hatte. Offensichtlich sehnte sie sich danach, darüber zu reden. Das Geheimnis zu enthüllen – und damit die Dämonen zu bannen.
Aber den Zeitpunkt dafür musste sie selber bestimmen. Wenn er sie in irgendeiner Form drängte, würde er alles, was zwischen ihnen war, nur zerstören.
Ihm blieb nichts weiter zu tun, als abzuwarten.
„Tut mir leid, Ryan“, entschuldigte Simone sich leise. „Aber ich habe dich ja gewarnt, dass es mit mir nicht leicht ist.“
Er legte die Hand auf ihren Arm. Ihre Haut war warm und seidenweich, er hätte sie stundenlang berühren mögen.
„Du brauchst mir nichts zu erzählen, wenn du nicht willst“, versicherte er leise.
Die Zeit schien stillzustehen. Abgesehen vom Brummen der Autos auf den Straßen der Stadt, dem Rauschen der Brandung und, wie er zugeben musste, dem schweren Klopfen seines Herzens war es ganz ruhig.
Als würde das Schicksal den Atem anhalten.
Simone kniete noch immer da, von silbernem Mondlicht umflossen, verführerisch wie eine Meerjungfrau.
Er hatte ihr angeboten, alles ganz langsam angehen zu lassen, aber jetzt war ihm klar, dass seine Gefühle für sie außer Kontrolle zu geraten drohten.
Es gab nur eins: Er musste weg. Bevor er völlig den Kopf verlor.
Rasch stand er auf, dann reichte er ihr die Hand und zog sie hoch. „Morgen muss ich leider zu einer langweiligen Veranstaltung. Das hat mein Vater mir aufgebrummt. Irgendeine Promotions-Veranstaltung für irgendeinen Konzern, in dem er mich mal wieder unterzubringen versucht. Ich nehme nicht an, dass du mich begleiten möchtest?“
„Also, ich bin wirklich geschmeichelt, dass du mich zu der Veranstaltung mitnehmen willst, die du in glühenden Farben und so verlockend schilderst …“ Plötzlich lachte sie leise.
Sein Lächeln fiel ein bisschen schief aus. „Na ja, mir geht es, ehrlich gesagt, vor allem darum, dass mein Vater keinen falschen Eindruck von der Beziehung bekommt, die zwischen dir und mir besteht. Beziehungsweise nicht besteht.“
„Ach so … Danke, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast. Hoffentlich denke ich daran, wenn ich deinem Vater noch mal über den Weg laufe.“ Sie drückte ihm die Hand. „Aber keine Sorge. Meine Assistentin hat mir heute beim Weggehen gesagt, dass ich morgen Abend an irgendeiner Veranstaltung teilnehmen muss, weil der Geschäftsführer von City Girl das möchte.“
„Ja, aber trotzdem …“
Sie ließ ihn nicht ausreden. „Wenn wir es langsam angehen lassen wollen, können wir uns doch nicht an drei aufeinanderfolgenden Abenden verabreden. Stimmt’s?“
Ja, irgendwie hatte sie recht.
Trotzdem musste er wesentlicher öfter an sie denken, als ihm lieb war.
Nämlich jede einzelne Sekunde.
7. KAPITEL
Simone saß in einem roten Seidenkleid, das sehr teuer gewesen war, am Frisiertisch und überlegte, ob sie die Perlenohrringe anstecken solle, die sie von ihrer Muter geerbt hatte.
Sie wollte bei der Weihnachtsfeier Eindruck machen, zu der alle Leute erwartet wurden, die Rang und Namen hatten. Man würde viel echten Schmuck zu sehen bekommen, so viel, dass ein Entwicklungsland damit seine Staatsschulden würde begleichen können.
Die Ohrringe waren wunderschön und die einzigen kostbaren Schmuckstücke, die ihre Mutter besessen hatte. Simones
Weitere Kostenlose Bücher