Julia Extra Band 0292
Großvater hatte sie seiner Tochter zur Hochzeit geschenkt.
Beim Anblick der schimmernden Perlen malte Simone sich aus, wie ihre Mutter sie am Tag der Trauung angelegt hatte, voller Freude auf das Leben, das vor ihr lag.
Zum Glück hatte sie nicht gewusst, dass das Schicksal es nicht gut mit ihr meinte.
Nein, daran denke ich jetzt besser nicht, sagte Simone sich wehmütig. Bei der Feier wollte sie kühl und entspannt wirken, ganz die charmante und geistreiche Chefredakteurin.
Trotzdem nahm sie nun wie gegen ihren Willen das eine Foto ihrer Eltern aus der Schublade und betrachtete es mit feuchten Augen. Ihr Vater war erst neunzehn gewesen, ein ernster junger Mann in Uniform, mit einem Funkeln in den Augen, das Sinn für Humor verriet. Ob er sich gefreut hatte, als er erfuhr, dass seine Frau ein Kind erwartete?
Ein Kind, das er niemals zu sehen bekommen sollte, da er vor dessen Geburt im Vietnamkrieg fiel.
Ich hätte ihn so gern gekannt, dachte Simone seufzend. Sie sehnte sich unendlich danach, mit ihrer Mutter zu reden.
Sie sehnte sich nach irgendeinem Menschen, mit dem sie über ihre Familie sprechen konnte!
Es war herrlich gewesen, sich Belle und Claire anvertrauen zu können, und es hatte ihr eine Last von der Seele genommen. Doch diese Nacht in den Bergen war so lange her! Manchmal dachte sie, sie hätte alles nur geträumt.
Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie sie Ryan dasselbe erzählte wie ihren Freundinnen. Sie stellte sich sein Entsetzen vor, den ungläubigen Blick.
Plötzlich flossen ihr Tränen über die Wangen, obwohl sie sich ermahnte, nicht zu weinen.
Doch sie konnte nicht aufhören, vor allem da sie nun Erinnerungen an ihre Mutter überfielen, an deren zärtliche Liebe und Fürsorge.
Und an das schreckliche Ereignis, das alles für immer verändert hatte.
Schuldgefühle und Entsetzen erfüllten Simone.
Sie ließ die Ohrringe fallen und zog rasch das Kleid aus. Die Tränen hatten ihr das Make-up verdorben, und nun musste sie sich ganz neu schminken.
Das bedeutete, dass sie zu spät zu der Feier kommen würde – und der Geschäftsführer von City Girl sich über sie ärgerte.
Ryan betrachtete mürrisch den Marmorboden und die verspiegelten Wände des weitläufigen Ballsaals und schob kurz den Zeigefinger unter den unbequem steifen Hemdkragen.
Wieso er sich von seinem Vater hatte überreden lassen, ihn zu dieser Veranstaltung zu begleiten, konnte er nicht mehr nachvollziehen. Sich bei den Geschäftsfreunden Tanner seniors einzuschmeicheln war nicht sein bevorzugter Zeitvertreib!
Immerhin hatte sein Vater sich auf einen Tauschhandel eingelassen: Wenn Ryan an dieser Feier hier teilnahm, blieb ihm das Weihnachtsessen im Kreis der Familie erspart.
Ja, im Leben seines Vaters lief alles auf Handel und Profitdenken hinaus. Selbst vermeintlich großzügige Gesten ließ er sich irgendwie entgelten.
Ryan hatte noch immer keine Ahnung, warum er hatte mitkommen sollen. Bisher war er noch keinem möglichen Arbeitgeber und keiner möglichen Ehefrau vorgestellt worden. Tatsächlich hatte sein Vater ihn so gut wie überhaupt nicht beachtet.
Das hatte einen Vorteil: Er konnte sich an den Häppchen satt essen, das ein oder andere Glas trinken und dann früh nach Hause verschwinden.
„Ryan! Was machst du denn hier?“
Er wirbelte herum und hätte sich beinah an seinem Lachsbrötchen verschluckt. Da stand Simone, in einem umwerfend eleganten, schulterfreien roten Kleid, das goldblonde Haar locker aufgesteckt. In den Ohrläppchen blitzten winzige Rubine.
Überall wandten Männer die Köpfe, um Simone bewundernd anzustarren.
„So ein Zufall!“, sagte sie und lächelte ihn strahlend an, ohne den anderen Verehrern auch nur einen Blick zu gönnen. „Ich dachte, du müsstest zu einer Veranstaltung, die dein Vater organisiert hat.“
„Richtig. Das ist hier die besagte Veranstaltung.“
Sie schien sich ehrlich zu freuen. „Das ist ja nett, dass wir uns heute doch noch sehen. Du siehst richtig elegant aus“, lobte sie und betrachtete ihn anerkennend.
Ryan fühlte sich plötzlich nicht älter als fünfzehn … und schrecklich verliebt. Er konnte nichts sagen, er konnte sie nur hingerissen anschauen.
„Ach, da bist du ja, Simone!“ Ein ziemlich korpulenter, ungefähr fünfzigjähriger Mann mit rotem Gesicht eilte zu ihr und umarmte sie. „Wo hast du gesteckt? Ich hatte schon Angst, du würdest nicht kommen.“
„Guten Abend, Arthur.“ Sie küsste ihn flüchtig auf die Wangen. „Tut mir
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