Julia Extra Band 0293
aufhören … weil er mehr wollte. Alles.
Er neigte sich vor und zog den Reißverschluss ihrer Jacke mit einem heftigen Ruck nach unten, dann schob er sie ihr von den Schultern. Darunter trug sie ein enges schwarzes T-Shirt, unter dem sich ihre festen, kleinen Brustknospen deutlich abzeichneten.
Nur weil es kalt war?
Claire lehnte sich mit dem Rücken an die Brüstung.
Dieser stummen Aufforderung konnte er nicht widerstehen. Er schob den Saum des T-Shirts nach oben, wobei er feste, durchtrainierte Bauchmuskeln enthüllte.
Und ganz plötzlich kam er wieder zur Besinnung.
Mit einem Fluch wich er gut einen Meter zurück und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen.
Nicht nur der Abstand trennte ihn von Claire, auch die vergangenen zehn Jahre und die vielen Erinnerungen. Nur die bittersten rief er sich jetzt bewusst ins Gedächtnis.
„Du behauptest ständig, es tut dir leid“, sagte er eisig. „Ich bedaure auch, was zwischen uns passiert ist.“
Es klang nicht so, als meinte er die Trennung!
Claire fühlte sich, als hätte Ethan ihr ins Gesicht geschlagen. Rasch zog sie die Jacke wieder zurecht, entsetzt darüber, was sie sich – und Ethan – gerade erlaubt hatte … und noch entsetzter, weil es sie enttäuschte, dass nicht mehr passiert war.
„Ich kann mir denken, wie du dich fühlst, Ethan.“
„Das kannst du eben nicht“, rief er und ging ans andere Ende der Terrasse.
„Und was willst du jetzt wegen der möglichen unangenehmen Publicity unternehmen?“, fragte Claire, bemüht, ein sachlicheres Thema anzuschneiden. „Eine Strategie zur Schadensbegrenzung wäre nicht verkehrt, oder?“
Er wandte den Kopf und funkelte sie an. „Von dir brauche ich keinen Tipp, wie ich weiter vorzugehen habe! Immerhin verdanke ich dir, dass ich überhaupt in diesem Schlamassel stecke!“
Jetzt klang er exakt wie ihr Vater: so herablassend und abschätzig, als käme es auf ihre Meinung nicht an. Das schmerzte sie genauso wie die Zurückweisung gerade eben.
Nun begann es auch noch zu regnen, aus einem Himmel, der genauso düster war wie ihre Stimmung.
Claire steckte die unnötig gewordene Sonnenbrille in die Jackentasche und verkündete: „Ich muss jetzt zurückfahren.“
„Schon so bald?“, höhnte Ethan.
Sie achtete nicht auf seinen verletzenden Ton. „Ich bin momentan in der ‚Pension Kleeblatt‘ in Glen Arbor – falls du dich mit mir wegen irgendwas in Verbindung setzen möchtest.“
„Bleibst du noch?“, fragte er erstaunt. „Wie lange denn?“
„Na ja, ein, zwei Tage“, antwortete sie. „Vielleicht könnten wir ja gemeinsam etwas unternehmen, falls es wegen des Tagebuches zum Schlimmsten kommt. Eine Pressekonferenz abhalten, oder so.“
Inzwischen regnete es heftig. Die Fahrt bergab in den Ort würde nicht unriskant werden, möglicherweise sogar gefährlich.
Claire war das egal. Aus einem ihr unerklärlichen Grund fühlte sie sich plötzlich beinah übermütig. Als wäre sie unbesiegbar. Trotzdem setzte sie natürlich den Helm auf, bevor sie aufs Rad stieg.
„Ich melde mich“, rief sie Ethan zu und fuhr los.
Ethan blieb, wie gelähmt, im mittlerweile strömenden Regen stehen und sah Claire nach.
Verdammt! Sie hatte es wieder geschafft, innerhalb ganz kurzer Zeit sein Leben völlig auf den Kopf zu stellen.
Mit dem Handrücken rieb er sich über die Lippen, wie um die Erinnerung an den Kuss auszulöschen. Es gelang ihm nicht.
Das nahm er ihr übel.
Trotzdem war er ehrlich genug, sich einzugestehen, dass er sie noch immer begehrte.
Eine Stunde später stieg er, nachdem er nochmals geduscht und trockene Sachen angezogen hatte, in seinen Geländewagen und fuhr in den Ort. Nicht, dass er Claire nachspionieren wollte oder sich ihretwegen Sorgen machte, oh nein!
Er wollte nur sichergehen, ob sie heil angekommen war. Sie im Krankenhaus zu besuchen wäre das Letzte, was er jetzt brauchte …
Als er an der Pension vorbeifuhr, sah er das Fahrrad auf der Veranda stehen, das Trikot hing über dem Geländer zum Trocknen.
Unwillkürlich fuhr er langsamer, so langsam, dass der Fahrer hinter ihm ungeduldig hupte.
Ich denke schon wieder an den Kuss, dachte Ethan bestürzt.
Aber in zwei Tagen würde Claire abreisen, und dann brauchte er sie nie mehr wiederzusehen.
Vorausgesetzt, ihre damalige Heirat blieb ein Geheimnis.
4. KAPITEL
Der „Glen Arbor Gourmet Grill“ war ein gediegen rustikales Lokal, in dem es selbst gebackenes Brot, Bilder lokaler Künstler an den Wänden und frisch
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