Julia Extra Band 0293
hatten, konnte sie sich wieder etwas entspannen. Mutig bestellte sie sich beim Steward einen Orangensaft und zuckte leicht zusammen, als Julian sie ansprach.
„Wir müssen etwas klären!“
Erwartungsvoll sah sie ihn an. „Okay.“
„Deine Rolle ist an diesem Wochenende von außerordentlicher Bedeutung.“
Nun war es an ihr, die Augenbrauen hochzuziehen. „Sollte ich das jetzt verstehen?“
„Was weißt du über die Hassells?“, fragte er, und Susan zuckte die Achseln.
„Nur das, was du mir erzählt hast“, räumte sie ein.
„Lies das!“ Er reichte ihr einen Ordner mit dem Titel Die Hassells: Eine Familie, eine Dynastie. In mehreren Artikeln war dort beschrieben, wie die holländische Großfamilie seit mehr als hundert Jahren auf Sint Rimbert lebte und arbeitete. Susan las alles über Jan Hassell, seine Ehefrau Hilda und ihre drei Söhne, die mittlerweile als Unternehmer in verschiedenen Weltmetropolen Spitzenpositionen innehatten.
Das Hauptaugenmerk der Familie lag aber auf der Entwicklung lokaler Wirtschaftsformen. Sie wollten die Insel so umwelt- und familienfreundlich wie nur irgend möglich ausbauen. Offenbar hatte die familiäre Tradition der Hassells bei all ihren Projekten allerhöchste Priorität.
Als Susan ihre Lektüre beendet hatte, merkte sie erst, wie finster Julians Miene inzwischen war.
„Begreifst du jetzt?“
Nein, das tat sie nicht! „Scheint eine bemerkenswert nette Familie zu sein“, sagte sie und klappte den Ordner zu. Jedenfalls schienen sie nicht zu der Sorte Mensch zu gehören, die eine einfache Sekretärin nach der Qualität ihrer Kleidung beurteilten.
„Familienwerte“, blaffte er.
Susan hatte das Gefühl, irgendetwas sagen zu müssen. „Sie scheinen es jedenfalls nicht nur auf ihren wirtschaftlichen Vorteil abgesehen zu haben.“ Laut den Unterlagen war das Motto für ihr geplantes Resort „ein Weg, die Schönheit unserer Insel mit anderen wertvollen Menschen teilen zu können“.
„Jedem Menschen geht es in erster Linie um Geld“, stellte Julian schlicht klar. „Die Hassells wollen dafür aber einen Architekten engagieren, der mit ihrer Vorstellung von familiären Werten konform geht. Sie haben an diesem Wochenende drei Architekten eingeladen, mich eingeschlossen. Soweit ich das beurteilen kann, soll jeder auf überglückliche Familie machen und abends begeistert Lieder am Lagerfeuer singen“, setzte er sarkastisch hinzu.
Verwundert blickte sie ihn an. Nach ihrem Verständnis war Julian Douglas so weit von einer glücklichen Familie entfernt, wie man das nur sein konnte.
„Sie haben mich mit eingeladen, weil ich behauptet habe, frisch verheiratet zu sein und mich auf meine zukünftige Familie zu freuen“, erklärte er stockend.
„Aber … das entspricht nicht der Realität.“
„Doch, an diesem Wochenende tut es das“, fiel er ihr mit Bestimmtheit ins Wort.
Susan war absolut fassungslos. Ihr Magen drehte sich um, und sie gab sich alle Mühe, irgendeinen Sinn in seinen Worten zu erkennen. Verwirrt fuhr sie mit der Zunge über ihre trockenen Lippen.
„Aber wie …“, begann sie und brach ab. Dann schüttelte sie den Kopf. „Was willst du mir damit sagen?“, erkundigte sie sich heiser.
„Ich erzähle dir gerade“, antwortete er klar und deutlich, „dass du an diesem Wochenende nicht meine Sekretärin bist – sondern meine Ehefrau.“
Fremde Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Verschlungene Hände, nackte, aneinandergepresste Körper, Liebe, Sex!
Sie blinzelte.„Deine Ehefrau?“,wiederholte sie.„Du meinst … wir sollen ihnen etwas vorspielen?“
Sein kaltes Lächeln erreichte seine Augen nicht. „Dachtest du, ich würde richtig ernst machen?“
„Du willst, dass ich lüge?“, erkundigte sie sich ungläubig und kämpfte gegen eine leichte Übelkeit an. „Du willst diese Menschen, für die du arbeiten möchtest, täuschen? Damit du deinen schwachsinnigen Auftrag zugesprochen bekommst?“
Er schien ungerührt. „Das ist keine feine Art, es in Worte zu fassen.“
Langsam machte alles einen Sinn: die plötzliche Reise, die teuren Kleider, der gezwungen private Umgang miteinander … Alles war Teil eines abgekarteten Spiels.
Susan wandte sich ab und schloss für ein paar Sekunden die Augen. Es war unmöglich, es war falsch! Sie konnte sich nicht als Julians Frau ausgeben, schließlich mochte sie ihn nicht einmal besonders – sie kannte ihn ja kaum. Und eine solche Scharade war schon gar nicht ihr Stil.
Darüber hinaus
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