Julia Extra Band 0294
Beau war überdurchschnittlich groß und hielt sich sehr gerade. Aber nicht nur deshalb ragte er lässig aus der Masse der anderen Männer heraus. Ihn umgab eine fast greifbare Aura von … Bedeutung, Macht … Unantastbarkeit?
Was für ein verrückter Gedanke!
Fast hätte Audrey aufgelacht. Alles um sie herum war vergessen. Kate, die anderen Gäste im Ballsaal, ihre Agentin …
Und dann, ganz plötzlich, in einem Moment seltsamer Klarheit, konnte sie in seinen ausdrucksvollen Augen lesen. Und was sie las, nahm ihr den Atem …
Vorverurteilung, Missachtung, Widerwillen, Abscheu.
Es war lange her, dass sie es in den Blicken der meisten Menschen sah, mit denen sie damals zu tun hatte …
Audrey spürte, wie ihre Knie zu zittern begannen und eine nicht zu unterdrückende Panik in ihr aufstieg. Mit einer gemurmelten Entschuldigung drückte sie Kate ihr Champagnerglas in die Hand und bahnte sich blindlings einen Weg durch die Menge, ohne überhaupt zu wissen, wovor sie davonlief.
„Was, um alles in der Welt, ist denn in dich gefahren?“, wollte Kate wissen, als sie ihre Freundin endlich im Schminkraum der Damentoilette aufgespürt hatte. „In einer Sekunde warst du noch da, in der nächsten bereits verschwunden …“
Audrey nahm ihr das Champagnerglas wieder ab und leerte es in einem Zug. Die letzten fünf Minuten hatte sie vorm Spiegel an einem der Waschbecken verbracht und die brennenden Wangen mit einem feuchten Tuch gekühlt. Sie war immer noch geschockt von ihrer heftigen Reaktion auf den Blick eines völlig Fremden, der sie schlagartig in eine Vergangenheit zurückversetzt hatte, an die sie sich nie wieder erinnern wollte.
Worüber hatten er und Maude sich wohl unterhalten? Doch nicht über sie ? Audrey schüttelte abwehrend den Kopf. Sie hasste das Gefühl der Unsicherheit, das dieser bedrohliche Kerl ihr vermittelt hatte!
„Was ist mit dir los, Audrey?“
„Nichts, Katie … alles bestens“, murmelte sie undeutlich und zog ihre Freundin mit sich, zurück in den Ballsaal. „Vergiss nicht, wir haben noch keinen Feierabend!“
„Aber Audrey, ich kenne dich genau, und …“ Katie brach ab und starrte auf einen Punkt hinter Audreys linker Schulter. „Schau dich jetzt bloß nicht um! Da hinten, neben Maud, steht der schärfste Typ, den ich je zu Gesicht bekommen habe und … Oh, mein Gott! Ich erkenne ihn erst jetzt! Er ist es tatsächlich …!“
„Wer, Katie? Wen erkennst du?“, fragte Audrey und drückte die Finger ihrer Freundin so fest, dass diese aufschrie.
Als Katie den Namen sagte, hatte Audrey das Gefühl, der Erdboden müsse sich vor ihr auftun und sie verschlingen …
„Er ist es wirklich … Romain de Valois! Mauds Neffe! Jetzt ergab das alles auch Sinn! Die Mädchen haben sich nämlich den ganzen Tag schon das Maul über ihn zerrissen. Es heißt, er sucht ein Model für die Kampagne des Jahrhunderts!“
„Romain de Valois …?“ , echote Audrey tonlos und wurde leichenblass.
„Du musst doch schon von ihm gehört haben! Oh, Audrey, schau doch nur, wie …“
„ Katie !“ Ihre Stimme war so eindringlich, dass sie die Aufmerksamkeit ihrer Freundin erregte. „Erinnerst du dich denn nicht daran, wer er ist?“
Bestürzt musterte Katie Audreys schneeweißes Gesicht und schüttelte den Kopf. Doch es war ihr bitteres Lachen, das sie noch viel mehr erschreckte.
„Bitte, jetzt sag nicht, du hast diesen grauenvollen Artikel in der Zeitung vergessen! Dieses widerliche Geschmiere, das noch viel herzloser und vernichtender war als alle anderen Tiefschläge zusammengenommen. Damit hat er jedes Journal, jeden Fotografen und jede Agentur in London dazu gebracht, mir den Rücken zu kehren!“, erinnerte Audrey sie mit brüchiger Stimme.
Mit jedem anklagenden Wort waren Katies Augen größer geworden. „Oh Gott, Audrey!“, rief sie betroffen aus. „Das war er , nicht wahr? Wie konnte ich das nur vergessen?“
Audrey nickte dumpf. Schon vor acht Jahren war es für Romain de Valois ein Leichtes gewesen, ihre mühsam aufgebaute Karriere mit einem Handstreich zu vernichten. In einem verheerenden Zeitungsinterview hatte er den Missbrauch von Drogen innerhalb der Modelszene beklagt und sie namentlich als symptomatisches Beispiel an den Pranger gestellt. Damit stempelte er sie zum schwarzen Schaf unter den europäischen Mannequins ab und zwang sie quasi, ihre Heimat zu verlassen.
Dass sie in ihrer jugendlichen Naivität einzig und allein den Fehler begangen hatte, falschen Freunden zu
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