Julia Extra Band 0302
her war, erkannte Ann in ihr sofort das Kindermädchen, das ihr damals Ari aus dem Arm genommen hatte. Und der kleine Junge neben ihr musste …
Schockiert stand sie da. Und dann bemerkte sie, wie der Blick des Kindermädchens zu ihr schweifte. Ann sah, dass die junge Frau sie erkannt hatte. Auch die ältere Dame neben ihr drehte sich jetzt um.
Es war Aris Großmutter. Sie musste es sein! Eine elegante Frau, die ein wenig zerbrechlich wirkte. Mit verhaltener Neugier erwiderte sie kurz Anns Blick, ehe sie fragend eine Braue hob. Dann flüsterte sie dem Kindermädchen etwas zu, das langsam nickte, ehe die ältere Frau auf Ann zutrat.
„Bitte entschuldigen Sie“, meinte sie neugierig, „aber … ist es wirklich möglich? Sind Sie vielleicht …? Sie sehen meinem Enkel ähnlich.“
Ann schluckte, unfähig, sich zu bewegen oder etwas zu sagen. Dann trat noch jemand in ihren Blickwinkel. Groß, männlich, eingehüllt in einen schwarzen Kaschmirmantel, entfernte er sich von der Eisenbahn und ging zur Kasse. Ann hielt die Luft an, als der Mann sich umdrehte und nach seiner Mutter Ausschau hielt. Dann fiel sein Blick auf Ann, und er erstarrte.
Blitzschnell hatte sie eine Entscheidung getroffen und trat einen kleinen Schritt vor.
„Ja, ich bin Ann Turner, Aris Tante“, erklärte sie.
Freude erhellte Sophia Theakis’ Gesicht, als sie sanft Anns Hand in ihre nahm. Im gleichen Augenblick kam Nikos mit drohender Miene zu ihnen. Doch es war zu spät.
„Nikki, das ist wirklich ein Zufall“, wandte Sophia sich auf Englisch an ihren Sohn. „Die junge Frau hier ist Aris Tante. Ich kann es kaum glauben.“
Das Gesicht ihres Sohnes wirkte jetzt wie versteinert. „Ja, was für ein Zufall“, sagte er gedehnt, doch der warnende Unterton war nicht zu überhören.
Sophia Theakis schien dies jedoch nicht bemerkt zu haben. Vielmehr zog sie Ann zu ihrem Enkel, der immer noch fasziniert auf die Züge starrte, legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter und flüsterte ihm etwas auf Griechisch zu, ehe sie ihn herumdrehte. Zum ersten Mal seit vier langen Jahren schaute Ann in das Gesicht des kleinen Jungen, den sie zuletzt als Baby gesehen hatte.
Seine Züge verschwammen, da ihr Tränen in die Augen traten. Sie ging in die Hocke und nahm die kleinen Hände.
„Hallo, Ari“, sagte sie leise.
Der Junge runzelte ein wenig die Stirn. „Ya-ya sagt, dass du meine thia bist. Aber ich hab keine thia , nur einen thios – meinen Onkel Nikki. Bist du die Frau von Onkel Nikki? Dann wärst du nämlich meine thia “, schloss er mit unschlagbarer Logik.
Ann schüttelte den Kopf, während seine Großmutter wieder etwas auf Griechisch zu ihm sagte. „Aber ich hab doch keine Mami mehr“, widersprach er. „Sie und mein Papa leben im Himmel.“
„Deine Mami hatte eine Schwester, Ari“, entgegnete Ann mit rauer Stimme. „Und diese Schwester bin ich.“
„Wo bist du denn gewesen?“, wollte Ari wissen. „Warum hast du mich denn nicht besucht?“ Er klang empört und gleichzeitig verwirrt.
„Ich wohne ganz weit weg, Ari“, erwiderte Ann in dem Versuch, dem Kind eine Erklärung zu geben, mit der es zurechtkommen könnte.
„Ari.“ Barsch wurde sie von Nikos Theakis unterbrochen. „Wir sollten Ya-ya nicht warten lassen und deine … Tante nicht länger aufhalten. Sie ist eine sehr beschäftigte Frau. Ich werde sie zum Taxi bringen.“
Seine Miene wirkte genauso grimmig wie seine Stimme, und Ann merkte, wie seine Hand ihren Unterarm umklammerte. Offenbar wollte er sie so schnell wie möglich fortschaffen.
„Nikos!“ Seine Mutter klang gleichermaßen überrascht und verärgert. Schnell sagte sie etwas auf Griechisch zu ihm, und Ann sah, dass Nikos’ Gesicht sich noch mehr verdunkelte, während sie auf ihn einredete. Er verkniff sich eine Antwort und warf Ann stattdessen einen wütenden Blick zu. Erstaunt hob seine Mutter die Brauen, um dann auf Griechisch fortzufahren.
Schließlich nickte Nikos mit versteinerter Miene. „Wie du willst“, sagte er auf Englisch.
Zufrieden lächelnd wandte Sophia Theakis sich wieder an Ann und lud sie freundlich zum Lunch ein.
„Schon seit Jahren ist es mein Wunsch, Sie zu treffen, mein liebes Kind.“ Lächelnd zog sie Anns Hand unter ihren Arm. „Kommen Sie“, sagte sie entschieden.
Ann war so benommen, dass sie kaum glauben konnte, was geschah. Nachdem sie das Geschäft verlassen hatten, wurden sie von dem Chauffeur zu einem der besten Hotels von London gefahren, mit grandiosem
Weitere Kostenlose Bücher