Julia Extra Band 0302
haargenau wie Andreas aus! Und jetzt bekommt der allmächtige Nikos Theakis seine Quittung! Andreas hat versprochen, mich zu heiraten, weil er seinen Sohn bei sich haben will. Und sein verdammter Bruder kann nichts dagegen tun!“
Verbittert hatte Ann sich gefragt, ob Carla mit ihrer siegesgewissen Haltung das Schicksal herausgefordert hatte. Denn es hatte nicht der Niedertracht eines Nikos Theakis bedurft, um seinen Bruder von der Hochzeit mit ihrer Schwester abzubringen. Ein unbedachter Augenblick auf den unbekannten Straßen Englands in einem schnellen Mietwagen und ein falsche Entscheidung von Andreas hatten ihr Carla genommen.
Zwei Leben waren ausgelöscht worden.
Ann war an diesem Tag mit dem kleinen Ari zu Hause geblieben. Auf einen Schlag war er zum Vollwaisen geworden.
Das Grauen und die überwältigende Trauer würde Ann nie vergessen. Andreas’ Leichnam war nach Griechenland überführt worden. Und da sich niemand aus dessen Familie hatte blicken lassen, hatte Ann mit der Beerdigung ihrer Schwester allein dagestanden. Genauso wie mit dem kleinen Ari, der nun niemanden auf der Welt mehr hatte außer ihr. Sie hatte auch nicht versucht, mit Andreas’ Familie Kontakt aufzunehmen, da diese deutlich gemacht hatte, dass Carla unerwünscht war – so wie ihr Kind.
Ari war Anns Ein und Alles, ihr Trost in dem unendlichen Meer der Trauer. Trauer um ihre Schwester und den Mann, den sie unbedingt hatte heiraten wollen. Wut auf seinen Bruder, der sie davon abgehalten hatte. Der Bruder, der nun in ihrem Flur stand und sie mit seinem Blick durchbohrte.
Und der Ari haben wollte.
Als Nikos keine Antwort bekam, ging er durch den engen Flur zu der Küche, die am Ende lag. Seine Züge verhärteten sich, als er das Chaos dort bemerkte. Der Abwasch türmte sich in der Spüle, und auf dem Tisch mit der billigen Plastikdecke standen noch die Überreste des Frühstücks. Was seinen Blick jedoch besonders anzog, war die Wiege. Langsam ging er hin und schaute hinein. Andreas’ Sohn! Wie ein hell strahlendes Wunder inmitten des dunklen Albtraums. Überwältigt starrte er auf das schlafende Baby und streckte langsam die Hand nach ihm aus.
„Fassen Sie ihn nicht an!“ Der schrille Ton ließ ihn innehalten. Überrascht drehte er sich um.
Ann Turner stand in der Tür und umklammerte mit einer Hand den Türpfosten. Nikos zog die Brauen hoch. Glaubte diese Frau, dass er den Jungen auf der Stelle mitnehmen würde? Nein, er würde zurückkommen, wenn alle Papiere unterzeichnet waren und er ein passendes Kindermädchen engagiert hatte, um dann für einen friedlichen Umzug seines Neffen zu sorgen. Heute war er nur gekommen, weil es ihn gedrängt hatte, mit eigenen Augen dieses Kind zu sehen, dass der einzige Trost war, seit Andreas’ Tod wie eine dunkle Wolke über der Familie Theakis hing.
Für einen Moment schweifte sein Blick zu der Gestalt in der Tür. Sie passte in diese Wohnung, mit ihrer schäbigen Kleidung, den zerzausten Haaren, die sie achtlos zusammengebunden hatte, und den Flecken vom Babybrei auf dem formlosen T-Shirt. Es hätte keinen größeren Unterschied zwischen ihr und der Frau geben können, die ihre geldgierigen Klauen nach seinem Bruder ausgestreckt hatte. Carla Turner war ein schillernder Paradiesvogel gewesen. Seine Schwester hingegen wirkte wie ein dürrer Spatz aus der Gosse.
Doch es war ihm egal, wie Ann Turner aussah, nur das Baby, das in ihrer Obhut war, interessierte ihn.
Inzwischen stand sie neben der Tür. „Ich möchte, dass Sie gehen, Mr. Theakis. Ich habe Ihnen nichts zu sagen, und ich will nicht, dass sie Ari stören.“ Ihr Ton war scharf, feindselig.
Schweigend starrte er sie an, und Ann spürte, dass sie rot anlief. Sie bemühte sich um Haltung, da sie den Schock über sein plötzliches Erscheinen immer noch nicht verkraftet hatte. Schließlich kam er auf sie zu, ohne ein Wort zu sagen. Schnell trat sie zur Seite, als er an ihr vorbei auf die Eingangstür zuging. Ihre Erleichterung währte nicht lange, denn statt ihre Wohnung zu verlassen, betrat er das kleine Wohnzimmer neben dem Eingang.
Mit klopfendem Herzen eilte sie hinter ihm her. „Ich hatte Sie gebeten zu gehen, Mr. Theakis …“, begann sie, wurde jedoch unterbrochen, da er entschieden seine Hand hob, als hätte sie eine unpassende Bemerkung gemacht.
„Ich bin lediglich gekommen, um mir das Kind anzusehen und um Sie darüber zu informieren, welche Vorkehrungen getroffen wurden, um ihn nach Hause zu holen.“
Entgeistert
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