Julia Extra Band 0302
Ausblick auf den Green Park.
Doch Ann hatte nur Augen für Ari. Er hatte gemerkt, dass er eine neue Verehrerin hatte, und plapperte ununterbrochen. Obwohl Ann dem Kleinen ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte, spürte sie doch die dunkle, bedrohliche Präsenz seines Onkels. Aber sie achtete nicht weiter darauf. Was kümmerte es sie, dass Nikos Theakis sie zum Teufel wünschte?
Nur Ari war für sie wichtig.
Ihr schien es wie ein Wunder, dass sie ihren Neffen tatsächlich wiedergefunden hatte – ein kleiner Junge, nicht länger nur eine verschwommene Erinnerung …
Ann merkte kaum, was um sie herum vorging – sie hatte nur Augen für Ari. Neugierig fragte sie ihn, welches sein Lieblingsspielzeug war, welche Geschichten er gern hörte und was er am liebsten spielte. Und er beschenkte sie reichlich mit Antworten, wobei sein Kindermädchen Tina oder seine Großmutter ihm ab und zu neue Stichwörter gaben.
Sein Onkel hingegen sprach nur, wenn sein Neffe sich an ihn wandte. Widerwillig musste Ann anerkennen, wie geduldig und aufmerksam er zu Ari war. Bei seiner Großmutter bestand ohnehin kein Zweifel, dass der Kleine ihr Ein und Alles war.
Ach, Carla, dachte Ann wehmütig, du kannst wahrhaft glücklich sein, wie geliebt und geborgen dein Sohn aufwächst.
Die schmale, beringte Hand von Aris Großmutter legte sich auf Anns Handgelenk. „Denken Sie an Ihre Schwester?“, fragte sie gütig.
Ann konnte nur nicken, da sie unfähig war zu sprechen.
„Wir wissen nicht, warum Ihre Schwester und mein gelieb ter Sohn uns genommen wurden, aber sie haben uns ein unbezahlbares Geschenk hinterlassen. Und ich bin froh – sehr froh, meine Liebe –, dass Sie jetzt hier bei uns sind, nachdem Sie viel zu lange von Ari getrennt waren.“
Erneut verschlug es Ann die Sprache, doch diesmal nicht, weil sie von Trauer überwältigt war. Wie sollte sie dieser freundlichen Frau erklären, wie grausam die Trennung für sie gewesen war? Und wie grausam ihr Sohn Nikos sich ihr und Carla gegenüber verhalten hatte.
Sie wandte sich ab – und sah in dunkle, kalte Augen. Fast hätte sie unter diesem vernichtenden Blick die Lider gesenkt, doch sie fing sich wieder und hob leicht das Kinn. Plötzlich veränderte sich Nikos’ Miene. Nun lag etwas in seinem Blick, das ihr einen Schauer über den Rücken jagte.
Als Ari dann eine kindlich-lustige Bemerkung von sich gab und sie damit zum Lachen brachte, war der Moment verflogen.
Nach dem Essen nahm Sophia Theakis erneut Anns Hand. „Für den Moment müssen wir leider Lebewohl sagen. Aber das wird nicht das Ende unserer Bekanntschaft sein. Ich werde einige Arztbesuche hier in London machen müssen, aber im Laufe der Woche werden wir nach Griechenland zurückkehren, und es würde mich sehr freuen, Sie dort als meinen Gast begrüßen zu dürfen. Auf Sospiris haben Sie endlich die Möglichkeit, all die verlorenen Jahre mit Ari nachzuholen.“ Sie lächelte voller Güte.
„Mein Sohn wird alles Notwendige arrangieren. Nikos …“ Schnell sprach sie auf Griechisch weiter und gab ihm sicher Anweisungen, die er, nachdem sie geendet hatte, mit einem knappen Nicken quittierte.
„Selbstverständlich“, sagte er grimmig. „Mit dem größten Vergnügen werde ich Miss Turner nach Hause begleiten.“
Ann musste keine Gedankenleserin sein, um zu wissen, an welchen Ort Nikos Theakis sie eigentlich wünschte. Zur Hölle!
Mit festem Griff umklammerte Nikos ihren Arm. Mein Gott, er hätte doch damit rechnen müssen, dass diese Frau einen erneuten Versuch starten würde. Zweifellos hatte sie die Million, die er ihr ausbezahlt hatte, inzwischen verprasst. Und jetzt hatte sie tatsächlich die Frechheit besessen, seine Mutter in dem Spielwarengeschäft anzusprechen.
Unheilvoll zogen sich seine Brauen zusammen. Hatte sie aus Berechnung dieses Geschäft aufgesucht – in teure Kleidung gehüllt, die sie zweifellos von seinem Geld bezahlt hatte? Natürlich war es so! Was sonst sollte eine Frau wie sie ausgerechnet in einem solchen Geschäft tun? Nein, sie hatte sich einen Plan zurechtgelegt, nachdem sie irgendwie herausgefunden hatte, dass seine Mutter mit Ari in London war, und sie wollte die Gelegenheit nutzen, Gewinn daraus zu schlagen. Wie dumm von ihm, dass er nicht daran gedacht und sich von ihr hatte überrumpeln lassen …
In mehr als einer Hinsicht. Denn er konnte immer noch nicht glauben, dass die Frau mit dem wunderschönen Gesicht und der umwerfenden Figur tatsächlich das mausgraue, ungepflegte
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