Julia Extra Band 0302
würde.
Und Carla? Was hätte sie gewollt? Auch auf diese Frage kannte Ann die Antwort. Carla hatte ihr kurzes Leben damit verbracht, zu Geld zu kommen, das für sie gleichbedeutend mit Glück war. Sie hätte viel darum gegeben, dass ihr Sohn seinen Platz im Clan der Theakis finden würde.
Wie kann ich Carlas Sohn das vorenthalten, was sie sich so sehr für ihn gewünscht hat?
Ann liebte den Kleinen über alles. Aber sie wusste, dass es jetzt an der Zeit war, eine Entscheidung zu treffen, solange er noch keine emotionale Bindung zu ihr aufgebaut hatte. Und sie wusste auch, dass die Zeit für sie gekommen war, stark zu sein und ihn seiner Großmutter zu überlassen, bei der er geachtet, geliebt und finanziell abgesichert aufwachsen würde.
So wie es jedem Kind zustehen sollte.
Und es gab noch einen Grund, warum sie Ari seiner Großmutter anvertrauen sollte. Diesen Grund konnte sie nicht einfach beiseiteschieben, denn Nikos Theakis’ ungeheuerliches Angebot machte es ihr unmöglich, darüber hinwegzusehen.
Eine Million Pfund. So viel Geld . Wie könnte sie da überhaupt Nein sagen?
Ein paar Tage später stand Nikos Theakis wieder in dem kleinen Wohnzimmer in Anns Apartment und beobachtete mit unbewegter Miene, wie Ann die Papiere unterschrieb, die ihr die Vormundschaft seines Neffen entzogen. Als sie das letzte Blatt unterzeichnet hatte und zitternd aufstand, spiegelte sich jedoch Befriedigung auf seinen Zügen.
Ann zuckte zusammen, während sein Rechtsanwalt die Papiere nahm und in seine Aktentasche schob. An der Tür stand ein junges Kindermädchen, das Ari auf dem Arm hielt. Für einen Moment war Ann so von Trauer überwältigt, dass sie mitgerissen wurde von dem Verlangen, ihr den Kleinen zu entreißen. Sie durfte ihn nicht gehen lassen, um keinen Preis! Doch es war zu spät. Das Kindermädchen warf ihr ein letztes, mitfühlendes Lächeln zu, ehe es sich zur Tür wandte, gefolgt von dem Anwalt.
Nikos hingegen blieb in der Tür stehen, während Ann mit leichenblassem Gesicht die Lehne ihres Stuhls umklammerte. Einen Augenblick runzelte er die Stirn, dann wurde seine Miene wieder undurchdringlich.
„Sie können Ihren Scheck jetzt einlösen, Miss Turner“, sagte er leise, jedes Wort wie ein Peitschenhieb.
Doch seine Verachtung drang nicht zu ihr durch. Sie hörte nichts als den stummen Schrei in ihrem Kopf, der ihr die Unmöglichkeit ihres Tuns vorhielt.
Und diese Stimme verfolgte sie, all die Jahre, die nun vor ihr lagen.
1. KAPITEL
Vier Jahre später …
In dem bekannten Spielwarengeschäft in London wimmelte es nur so von Kindern und deren Eltern. Ann bahnte sich ihren Weg und sah sich um. Das meiste Spielzeug war viel zu teuer, doch ein paar Dinge brachten sie auf glänzende Ideen. Es war seltsam, wieder in England zu sein. Seit sie Nikos Theakis’ Scheck angenommen und ihm Ari dafür überlassen hatte, war sie nicht oft in London gewesen.
Vier Jahre waren inzwischen vergangen, und trotzdem quälte sie immer noch ihr schlechtes Gewissen. Oh Carla, habe ich wirklich das Richtige getan? Sag mir, dass Ari geliebt wird und glücklich ist.
Nichts anderes war wichtig, nur dass er eine wunderschöne Kindheit hatte. Und dass er in einer Familie aufwuchs, die ihn liebte und ihm Wohlstand im Überfluss bot. Nicht alle Kinder konnten sich so glücklich schätzen.
Verzweifelt zwang sie sich, ihre trüben Gedanken zu verdrängen. An nichts anderes sollte sie denken, und trotzdem seufzte sie schwer, als sie weiterging. Denn mit ihrer Rückkehr nach England kamen auch all ihre Erinnerungen an Ari zurück. Würde sie ihn überhaupt noch wiedererkennen? Von all den Auflagen, die Nikos Theakis ihr gemacht hatte, war es für sie am schwersten zu ertragen, keinen Kontakt mehr zu Ari haben zu dürfen. Aber das war eben der Preis, den sie hatte zahlen müssen.
Plötzlich hörte sie eine Stimme von der anderen Seite des Ganges und blieb wie angewurzelt stehen.
„Ari, mein Liebling, wir sind in England. Also denk daran, Englisch zu sprechen.“
Wie in Zeitlupe drehte Ann sich um. Ein kleines Stück von ihr entfernt sah sie eine riesige Spielzeugeisenbahn, vor der sich die Kinder drängten. Ihr Blick fiel auf einen kleinen Jungen, der zwischen zwei Frauen stand. Alle drei hatten ihr den Rücken zugekehrt.
„Den Zug da kauft Onkel Nikki mir“, hörte sie eine hohe Kinderstimme.
Lächelnd wandte die jüngere Frau sich dem Jungen zu. Als Ann ihr Profil sah, schnappte sie nach Luft. Auch wenn es schon vier Jahre
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