Julia Extra Band 0318
noch andere Themen, über die man mit elfjährigen Jungen sprechen konnte. Football, zum Beispiel. Wie findest du die Giants?
„Ich fand Miss Maple auch gar nicht so hässlich“, fuhr er stattdessen fort.
Die Kellnerin brachte ihnen die Hamburger. Aus Sorge, sein neues Buch könnte Flecken abbekommen, rührte Kyle seinen kaum an. „Du hast ja keine Ahnung, wie sie aussieht, wenn jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.“
„Es wäre übrigens eine gute Idee, wenn du genau die zur Abwechslung mal machen würdest“, sagte Ben. Er dachte an Miss Maples Plan. Was für ein Glück für Kyle, diese Lehrerin zu haben. Sie war engagiert und sorgte sich wirklich um ihn. „Wenn du einen Monat regelmäßig deine Hausaufgaben machst, besorge ich uns Karten für ein Giants-Spiel.“
Aber selbst bei dieser Aussicht sah Kyle nicht von seinem Buch auf.
Auf dem Heimweg fuhren sie im Krankenhaus vorbei, um Carly zu besuchen. Sie schlief. In dem großen Krankenbett sah sie winzig aus, zerbrechlich und erschöpft. Kein Wunder, dass Kyle sich nicht für die Giants begeistern konnte. Er hatte ganz andere Dinge im Kopf. Ben wusste nicht, wie er ihn trösten konnte, und fühlte sich elend.
Zu Hause lief Kyle ohne gute Nacht zu sagen in sein Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Kurz darauf ertönte wieder die harte, düstere Musik vom Nachmittag. Der Sänger brüllte unverständliches Zeug.
Ben fühlte sich erschöpft. Seine Gedanken schweiften zu Miss Maple. Nein, bei ihr war er kein Krieger oder Jäger. In ihren sanften Augen lag etwas, das in ihm den Wunsch weckte, für immer die Waffen niederzulegen und nicht mehr zu kämpfen. Nie mehr.
Das geheime Tagebuch von Kyle O. Anderson
Als ich klein war, hat Mom mir einmal erzählt, dass Onkel Ben ein Ladykiller ist. Ich muss sie seltsam angesehen haben, denn sie hat gelacht und gesagt, dass er keine Frauen töten würde.
Das Wort würde nur bedeuten, dass Frauen ihn toll finden. Jetzt, wo ich bei ihm wohne, weiß ich, dass es stimmt. Egal, wo wir hingehen, die Frauen starren Ben an, als ob sie ihn am liebsten aufessen würden. Vorhin in dem Hamburgerladen auch. Die Frauen haben dann diesen komischen Ausdruck in den Augen – so, wie ein kleines Kind Hundewelpen ansieht. Sie sind schon halb verliebt in ihn, dabei haben sie noch kein Wort mit ihm gesprochen.
Ich weiß, wohin dieser Blick führt. Mom hat auch oft so geguckt. Und auf den Blick folgte garantiert die Katastrophe. Immer. Wahrscheinlich liegt es in der Familie.
Ich mag Tagebücher. Solange ich denken kann, hab ich schon eins. Seit ich damals Moms Tagebuch gefunden habe, das sie geschenkt bekommen hatte. Aber sie hat es nie benutzt. Es war richtig schön, mit Schloss. Ein Tagebuch ist wie ein geheimer Freund. Ihm kann man Sachen erzählen, wenn sie so groß werden, dass man sie nicht mehr für sich behalten kann. Dieses Tagebuch hat auch ein Schloss. Ich habe es gestohlen, weil ich im Geschäft nicht ausgelacht werden wollte. Dabei hätte ich ja auch sagen können, dass es ein Geburtstagsgeschenk für meine große Schwester ist. Das wäre natürlich gelogen gewesen, weil ich gar keine große Schwester habe. Was ist wohl schlimmer: lügen oder stehlen?
Es gibt viele Dinge, die niemand von mir weiß. Zum Beispiel bin ich eigentlich gar nicht gern böse. Aber es lenkt die Leute ab. So bekommt keiner mit, dass ich unglaubliche Angst hab. So sehr, dass mein Bauch davon wehtut.
Mom liegt im Sterben. Sie wiegt nur noch knapp vierzig Kilo, weniger als ich. An ihren Händen kann man jeden einzelnen Knochen und jede Ader sehen. In ihren Augen ist so ein komischer Ausdruck, als wollte sie Abschied nehmen. Trotzdem redet sie immer noch, als wäre sie superhart und hätte alles im Griff. Dass alles wieder gut wird und sie bald nach Hause kommt. Dabei seh ich doch, dass das nicht stimmt. Jedes Kind sieht das.
Nicht, dass ich ein Kind wäre. Jedenfalls fühl ich mich die meiste Zeit nicht so. Manchmal hab ich sogar das Gefühl, dass ich mich schon viel länger um Mom kümmere, als sie sich um mich.
Besonders gut hab ich mich aber wohl nicht um sie gekümmert, sonst würde es ihr jetzt nicht so schlecht gehen.
Meine Mutter ist nicht wie die Mütter in den Filmen oder Geschichten. Sie trinkt und feiert zu viel. Und sie lässt sich mit echt kaputten Leuten ein. Ihr jetziger Freund ist ein Idiot namens Larry. Er besucht sie noch nicht einmal im Krankenhaus, es sei denn, er braucht ihre Unterschrift für den Scheck vom
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