Julia Extra Band 0318
sie sich über Gott und die Welt unterhielten. Beth spürte, wie sie sich immer vertrauter wurden. Doch hinter dem wachsenden Vertrauen in ihr regte sich noch eine andere Empfindung. Eine Empfindung, die mit Bens Männlichkeit zusammenhing. Seine bloße Gegenwart weckte einen lustvollen Kitzel in ihr.
„Möchten Sie mich noch einmal küssen?“, fragte sie ihn plötzlich. Ihre eigene Kühnheit erregte sie.
„Miss Maple, wissen Sie eigentlich, womit Sie hier spielen?“, erwiderte er.
„Ich glaube schon, Mr. Anderson. Sehen Sie mich an. Ich fürchte mich nicht mehr vor dem Feuer.“
Nach einem kurzen Zögern lehnte Ben sich langsam zu ihr hinüber. Sie sah, wie sich seine Nasenflügel weiteten, als er ihren Duft einatmete. Er schloss die Augen und hauchte sanft ihren Namen, bevor seine Lippen sich leicht auf ihre legten. Ihn zu küssen erweckte in ihr ein Gefühl des Nach-Hause-Kommens.
Dann küsste er sie leidenschaftlicher. Sie spürte seinen Hunger und sein Drängen, sein Begehren.
Für einen Augenblick stiegen Zweifel in Beth auf, ob das Feuer, mit dem sie spielte, nicht doch zu heiß für sie war. Doch die Zweifel gingen unter in der Woge der Emotionen, die in ihr aufbrandete.
Das war kein flüchtiger Kuss über den Gartenzaun. Das war der Kuss eines Kriegers, der sich nahm, was er begehrte. Der forderte und seiner Forderung Nachdruck zu verleihen wusste.
Ein Mann wie Ben würde alles wollen, was eine Frau geben konnte. Es würde nur gut gehen, wenn sie genauso tief und intensiv empfand wie er. Wenn sie so stark war wie er. Nur dann würde sie ihm auf die höchsten Gipfel der Gefühle folgen können. Der Aufstieg wäre sicher hart, aber es würde sich lohnen.
Andererseits konnte man von dort oben tief fallen. Sehr tief. War sie wirklich bereit für dieses Risiko?
„Das ist ja eklig!“
Ben löste sich mit einem Ruck von ihr. Kyles Solo-Ausflug war kürzer ausgefallen als erwartet. Jetzt stand er mit seinem Fahrrad vor ihnen und starrte sie wütend an. Im nächsten Moment sprang Ben auf und zog Beth mit sich hoch. Er stellte sich vor sie, als wollte er sie vor Kyles Blick beschützen.
„Nein, gar nicht eklig“, widersprach er mit entschiedener Stimme. Etwas in seinem Gesicht ließ Kyle von weiteren Kommentaren absehen.
In Bens Gesicht las Beth, dass er sich ärgerte. Entweder über den Kuss oder das Erwischt werden, vielleicht auch über beides.
„Da drüben sind ganz viele Schwäne. Ich wollte, dass ihr sie auch seht. Sie sind einfach zu schön, um sie allein anzuschauen“, sagte Kyle.
Irgendwie drückte er damit aus, was sie alle in diesem Moment fühlten. Es gab Dinge, die waren zu schön, um sie allein zu erleben. Aber dafür musste man einem anderen Menschen bedingungslos vertrauen. Und genau hier lauerte die Gefahr. Wie leicht konnte man sich täuschen und verletzt werden. Wie leicht konnte sich ein hoher Gipfel in einen dunklen Abgrund verwandeln.
Zum ersten Mal empfand die neue Beth Angst. Dass Ben sich einfach auf sein Fahrrad setzte und Kyle hinterherfuhr, ohne auf sie zu warten, machte es nicht besser. Sie folgte den beiden, doch ein Teil von ihr wollte weg, weit weg, zurück nach Hause, in ihr sicheres Heim.
Das geheime Tagebuch von Kyle O. Anderson
Als ich zurückgekommen bin, hab ich meinen Onkel und Miss Maple dabei erwischt, wie sie sich geküsst haben. Mir war richtig schlecht. Ich kenn das ja von Mom. Sie knutscht mit irgendwem rum, und schon werde ich ins Nebenzimmer abgeschoben und muss ganz still sein.
Ich hab gedacht, dass Onkel Ben mir bestimmt zehn Dollar gibt und sagt, ich soll mir noch ein Eis kaufen gehen oder so. Aber das hat er nicht.
Wir haben uns die Schwäne angeguckt und sind dann zurück zu Miss Maple gefahren, um noch ein bisschen zu arbeiten. Onkel Ben und Miss Maple haben sich nicht mehr angefasst oder geküsst, jedenfalls habe ich nichts gesehen.
Ich durfte das Fahrrad mit nach Hause nehmen, und nach dem Abendessen sind Onkel Ben und ich noch eine Runde gefahren. Rad fahren ist echt einfach. Ich habe ihn gefragt, ob schwimmen auch so leicht ist, und er hat gesagt, dass ein Mann alles lernen kann, wenn er nur will. Ich finde es toll, dass er mich für einen richtigen Mann hält!
Dann hab ich ihn gefragt, ob es eigentlich etwas gibt, wovor er Angst hat. Er hat gesagt: „Jeder Mensch hat vor irgendetwas Angst.“
Wovor er Angst hat, hat er aber nicht gesagt. Ich will es auch gar nicht wissen. Wenn Onkel Ben sich vor etwas fürchtet, muss es
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