Julia Extra Band 0318
konnte ihn nicht so vernichten, wie ich es vorhatte.“
Auf Knien näherte sie sich dem grauen Marmorengel, strich etwas Erde beiseite und platzierte die Blumen auf dem Grab, die sie mitgebracht hatte. „Ich werde ganz bald dein Enkelkind zur Welt bringen“, sagte sie leise. „Und ich habe ihn gezwungen, sich von uns beiden fernzuhalten.“ Sie räusperte sich. „Ich glaube, ich habe nicht damit gerechnet, dass er sich an sein Versprechen hält. Vielleicht ist er doch nicht der Lügner, für den ich ihn gehalten habe.“ Der Wind kühlte die Tränen ab, die ihr über das Gesicht rannen. „Was soll ich jetzt bloß tun?“
Das Grab ihrer Mutter blieb stumm. Geliebte Ehefrau stand dort in den harten Stein gemeißelt. Dann fiel Eves Blick auf den Grabstein ihres Stiefvaters. Liebender Ehemann .
Eves Stiefvater hatte Bonnie schon geliebt, als sie beide noch Kinder waren. Aber sie lernte in Boston einen attraktiven Amerikaner kennen, der ihr Herz im Sturm eroberte. Aber noch immer hing Johns Herz an ihr. So sehr, dass er sie sofort überglücklich aufnahm, als sie verwitwet nach England zurückkehrte. Anschließend adoptierte er sogar ihre kleine Tochter.
Aber ihre Mutter war nie über Dalton hinweggekommen, der ihr seinerseits nicht die Liebe entgegengebracht hatte, die sie sich erhoffte. Waren alle Liebesbeziehungen so stark im Ungleichgewicht? Eine Person gab alles, und die andere nahm?
Nein. Eves Hals schmerzte. Manchmal trafen Liebe und Leidenschaft gleichermaßen aufeinander und verschmolzen zu einem Feuer, das beide Partner davontrug. Sie hatte es selbst erlebt.
Das Verlangen zwischen ihr und Talos war so stark gewesen, dass man kaum ausmachen konnte, wer von beiden die treibende Kraft war. Für Eves Empfinden waren sie beide ebenbürtige Partner – das hieß, solange sie zusammen waren …
Talos hatte sie glücklich gemacht, das wusste Eve mittlerweile. Ihr ganzes Erwachsenenleben lang hatte sie sich auf die falschen Dinge konzentriert: allen voran ihre persönliche Rache. Ein bitteres Lachen blieb Eve im Hals stecken.
Sie hatte den Stiefvater, der sie aufrichtig liebte, von sich gestoßen und ihre Zeit mit Leuten verbracht, die ihr im Grunde egal waren. Und wofür? Was hatte sie jetzt vorzuweisen außer einer verlorenen Jugend?
Nichts außer dem Kummer, den sie Menschen zugefügt hatte, die es gut mit ihr meinten. Nichts außer Geld, das sie nicht verdiente und einem Baby, dem der Vater fehlte. Ein leeres Bett und niemanden, der sie in einer kalten Winternacht im Arm hielt.
„Es tut mir so leid, John.“ Sie lehnte ihre Stirn an den Stein und schmückte auch sein Grab mit Blumen. „Ich hätte an Weihnachten nach Hause kommen müssen. Und zwar jedes Jahr. Vergib mir!“
Ein Rotkehlchen zwitscherte ganz in der Nähe, und dieses Geräusch hatte einen seltsam beruhigenden Effekt auf Eves Nerven. Seufzend richtete sie sich auf und rieb sich den schmerzenden Rücken und dann über den Bauch. „Ich komme bald wieder“, versprach sie leise. „Um euch beiden zu erzählen, wie es uns ergeht.“
Nach einem letzten stillen Gebet machte sie sich auf den Rückweg. Nach Hause. Das Anwesen thronte auf einem Hügel in der Ferne, aber für Eve war nur das Farmhaus in Massachusetts ein echtes Heim gewesen.
Bis zu dem Tag, als sie ihren Fuß auf die griechische Privatinsel von Talos Xenakis gesetzt hatte …
Eve wusste nicht mehr, wer sie war oder wohin sie gehörte. Sie hatte keine Ahnung, an was sie noch glauben sollte. Ihr fehlte die Stabilität von früher, er fehlte ihr.
Sie war aufgewühlt, und diese Aufregung übertrug sich anscheinend auch auf ihr Baby, denn es versetzte ihr einen kräftigen Tritt. Ihr Rücken schmerzte, und neue Tränen flossen. Offenbar hatte Talos sie nicht so sehr vermisst wie sie ihn. Sonst wäre er ihr nach England gefolgt, Versprechen hin oder her.
Im Geiste hörte sie seine gequälten Worte. Verlang das nicht von mir, Eve. Alles, nur nicht das!
Ein scharfer Schmerz fuhr durch ihren Unterleib. Inzwischen hatte sie die Eingangsstufen zu ihrem Haus erreicht und hangelte sich mühsam das Geländer hoch. Mit zitternden Händen öffnete sie die Eingangstür.
„Sind Sie das, Miss Craig?“, rief die Haushälterin aus der Küche.
Miss Craig. So als hätte ihre Hochzeit niemals stattgefunden. Als wenn Eve ihren lächerlichen Plan, sich augenblicklich scheiden zu lassen, wirklich in die Tat umgesetzt hätte. Sie konnte sich nicht mehr an ihren Mädchennamen gewöhnen, auch wenn
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