Julia Extra Band 0318
sie selbst darauf bestand, so genannt zu werden. „Ja, alles okay.“
Die freundliche Frau erschien im Flur und hielt einen Stapel Briefe in der Hand. „Ich habe ein paar Dinge von Ihrem Stiefvater aussortiert, wie Sie verlangt haben. Dabei ist mir fast dieser Umschlag hier in den Abfall geraten. Aber dann sah ich, dass Ihr Name draufsteht.“
„Lassen Sie ihn hier“, sagte Eve unter Schmerzen.
Es sind bestimmt nur Vorwehen, versuchte sie sich zu beruhigen und machte es sich auf einem Sofa bequem. Doch dann rollte die nächste Schmerzwelle heran, und Eve wurde klar, dass die Zeit für ihr Kind gekommen war. Die Geburt stand unmittelbar bevor, und Eve wollte sie nicht allein durchstehen.
Konzentriert atmete sie tief in den Bauch, so wie sie es in ihrem Geburtsvorbereitungskurs gelernt hatte.
Talos konnte ihr verzeihen, was sie ihm im Sommer willentlich an Schaden zugefügt hatte. Und trotzdem war Eve davon überzeugt gewesen, dass er in Bezug auf ihren Vater log.
Nachdenklich fiel ihr Blick auf den Brief in ihrem Schoß und auf die Handschrift von John Craig. Entschlossen riss sie ihn auf.
Liebste Evie,
ich habe diesen Brief in den Sachen Deiner Mutter entdeckt, gar nicht lang nach ihrem Tod. Mir war nicht klar, ob Du ihn jemals lesen solltest, deshalb lasse ich jetzt das Schicksal entscheiden. Deine Mutter hat Dich immer sehr geliebt, ebenso wie ich.
Gott segne Dich, mein Mädchen.
In dem Brief befand sich noch ein kleinerer Umschlag, und Eve unterdrückte einen Schrei, als eine neue Wehe ihren Körper plagte. Oder war es der Umstand, dass sie die Handschrift ihres Vaters erkannte? Es handelte sich um einen Liebesbrief, datiert auf den Tag, bevor Dalton Hunters Veruntreuung durch die Presse ans Licht kam.
Bonnie,
ich kann nicht länger lügen. Ich werde Dich verlassen. Meine Sekretärin ist auf Abenteuer aus, genauso wie ich – und wie Du, früher einmal. Aber keine Sorge, Kleines. Du und die Kleine, Ihr werdet schon zurechtkommen. Ich habe einen guten Batzen Geld organisiert, den Bonus, den diese Halsabschneider mir schon seit Jahren hätten auszahlen sollen. Die Hälfte davon lasse ich für Dich zurück.
Dalton
Fassungslos zerknüllte Eve den Zettel in ihren Händen und atmete schwer gegen die nächste Wehe an. Und sie hatte geglaubt, ihre Mutter wäre an gebrochenem Herzen gestorben! Das war ein Irrtum gewesen.
Talos hatte seine Quelle niemals preisgeben wollen? Es fiel Eve wie Schuppen von den Augen: Ihre eigene Mutter war ihrem Vater in den Rücken gefallen. Eve wurde eiskalt ums Herz.
Mein Gott, was habe ich nur getan?, schoss es ihr durch den Kopf.
Sie schrie kurz auf, als die nächste Wehe wesentlich schmerzhafter wurde.
„Miss Craig?“ Die Haushälterin stürzte ins Zimmer.
„Nennen Sie mich ruhig Mrs. Xenakis“, rief Eve atemlos. „Ich muss mit meinem Ehemann sprechen. Bitte versuchen Sie, ihn zu erreichen!“
„Geht es etwa los? Ich werde einen Arzt rufen. Das Auto muss vorgefahren werden.“
„Nein“, unterbrach Eve sie energisch. „Ich gehe nirgendwo hin, bevor ich nicht mit Talos gesprochen habe. Bringen Sie mir schnell ein Telefon!“
„Ja, sofort! Bleiben Sie da, wo Sie sind.“ Wie ein aufgescheuchtes Huhn lief die Haushälterin fort und kehrte wenig später mit dem Telefon in der Hand zurück. „Seine Assistentin sagt, er ist in Asien und zurzeit nicht erreichbar.“
In Asien? Unerreichbar?
Also hat er beschlossen, dass er ohne mich weiterleben kann, dachte Eve traurig. Er ist fertig mit mir.
„Haben Sie der Dame gesagt, dass ich in den Wehen liege?“, fragte Eve.
„Ja, und dass Sie Ihren Mann so schnell wie möglich in London sehen möchten. Kann ich denn sonst noch etwas für Sie tun?“ Die Augen der alten Frau waren weit aufgerissen.
„Nein“, flüsterte Eve und wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen. So wie es aussah, würde sie wohl allein mit ihrem Kind in eine Zukunft starten.
Während die Haushälterin den Chauffeur alarmierte, fragte Eve sich, wie sie so blind gewesen sein konnte. Talos hatte ihr seine Liebe mit beiden Händen angeboten, und sie hatte sich in ihrem alten Hass verrannt und hatte ihn abgewiesen.
Bis zu ihrem Lebensende würde sie diesen Mann lieben. Einen Mann, den sie niemals ihren Mann würde nennen dürfen. Es war allein ihre Schuld, dass ihr Kind ohne Vater aufwachsen musste.
Schluchzend umklammerte sie ein Kissen, als sie lauten Tumult im Vorflur hörte.
„Lassen Sie mich rein, verdammt nochmal! Ich weiß genau,
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