Julia Extra Band 0319
fassen, dass das alles wirklich geschah. Dass sie es zuließ, dass sie darum gebeten hatte. Sie kannte Luc doch gar nicht, und doch …
Und doch kannte sie ihn, vielleicht besser, als sie je einen anderen Menschen gekannt hatte. Selbst wenn sie es gewollt hätte, sie konnte sich nicht abwenden, nicht von dieser Situation und nicht von ihm. Sie hatte keine Wahl, die Sehnsucht war zu groß.
Während der Fahrt nach oben zur Penthouse-Suite hielt das surreale Gefühl an. Beide sprachen sie kein Wort, aber das Klopfen von Abbys Herz hallte in ihren Ohren, so laut, dass sie sicher war, Luc müsse es hören. Sie warf einen Blick auf ihn. Er wirkte ruhig und souverän, ja entschlossen.
Der Lift hielt an, die Türen öffneten sich und führten direkt in den Salon der Suite, die das gesamte oberste Stockwerk einnahm.
„Komm“, sagte Luc nur, denn Abby blieb plötzlich auf der Schwelle des Lifts stehen. Der Mut hatte sie verlassen, sie fühlte sich unsicher und eingeschüchtert. Nicht von dem überwältigend luxuriösen Raum, das nicht. Von ihren Tourneen war sie an jeden erdenklichen Luxus gewöhnt. Nein, es war er.
Mit einer lässigen Geste ließ er die Schlüsselkarte auf das Tischchen fallen und schüttelte sich das Jackett von den Schultern. Unter dem feinen Stoff seines Hemdes konnte Abby das Spiel seiner Muskeln mitverfolgen. Für einen Moment stand er im Profil. Sie glaubte nicht, dass sie es sich nur einbildete, aber seine Wangenmuskeln und sein Kinn bekamen plötzlich einen harten Zug. Auch der Schauer, der sie beim Anblick seines bewundernswerten Körpers durchlief, entstammte nicht nur ihrer Einbildung. Doch als er sich lächelnd zu ihr drehte, fragte sie sich dennoch, ob ihre Fantasie ihr nur einen Streich gespielt hatte.
„Kommst du nicht herein?“ Ein amüsierter Ton schwang in seiner Stimme mit, und Abby senkte den Blick.
„Ich …“ Sie leckte sich über die trockenen Lippen. „Ich weiß nicht.“
Mit gerunzelter Stirn ging er auf sie zu und fasste sie sanft bei den Schultern. „Hast du Angst?“
„Nein, nicht wirklich.“ Sie versuchte sich an einem Lachen, doch es klang gezwungen und unsicher. „Nicht vor dir“, fügte sie sofort hinzu. „Eher vor … vor der Situation. Es ist auch keine Angst. Ich weiß nur nicht, was ich jetzt tun muss. Ich meine …“
Er strich an ihren bloßen Armen herab und hinterließ eine Gänsehaut. „Setzen wir uns und plaudern einfach“, schlug er beruhigend vor. „Es hat mir Spaß gemacht, mich mit dir zu unterhalten.“
„Ja, mir auch“, versicherte sie. „Ich meine, mit dir zu reden, nicht mit mir.“
„Abby.“ Er lachte leise und streichelte behutsam ihre Wange. „Ich verstehe schon.“
Sie lachte nervös. „Du musst mich für schrecklich naiv halten.“
Er hob die Augenbrauen. „Ganz und gar nicht.“
„Wirklich nicht?“ Wieder lachte sie, dieses Mal entspannter. „Für meine Ohren höre ich mich aber ziemlich naiv an.“ Sie sah ihm direkt in die Augen. „Ich weiß nicht, was ich jetzt tun oder sagen soll.“
„Es gibt doch kein festes Drehbuch, oder?“
„Nein, kein Drehbuch“, sagte sie und ließ sich von ihm zum Sofa führen. „Aber sicher werden doch bestimmte Dinge … erwartet, oder?“
„Abby, ich versichere dir, ich habe keine Erwartungen. Ich war überrascht, dich in der Bar zu sehen, und ich bin noch erstaunter, dich nun hier zu sehen.“
Sie setzten sich. Lucs Schenkel lag an ihrem, und Abby streifte die Pumps ab und zog die Beine unter, bedeckte ihre Füße mit dem langen Rock ihres Abendkleides.
„Ich finde dich keineswegs naiv. Wohltuend erfrischend, würde ich es nennen.“
„Ist ‚erfrischend‘ nicht einfach nur eine nette Art, um auszudrücken, dass jemand anders ist?“
„Anders ist gut.“
„Anders ist anders“, beharrte Abby. „Fremdartig. Unnormal.“
Seine schlanken kräftigen Finger glitten unter die Falten ihres Kleides, massierten dort abwesend ihre schmalen Fesseln, ohne dass sein Blick je ihr Gesicht verlassen hätte. „Kommst du dir so vor?“
„Manchmal.“ Wie kam es, dass es ihr so leicht fiel, mit ihm zu reden? Ihm Dinge zu gestehen, die sie nicht einmal sich selbst eingestand? „Seit meinem fünften Lebensjahr besteht mein Leben nur aus Klavierspiel“, erklärte sie mit einem Schulterzucken. „Ich stand immer abseits.“
„In der Schule?“
Abby schüttelte den Kopf. „Nach meinem achten Geburtstag erhielt ich nur noch Privatunterricht zu Hause. Damit ich mich ganz auf
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