Julia Extra Band 0319
glaubte.
Tatsächlich verband sie mit jedem einzelnen Raum im Palazzo Erinnerungen, und stellte fest, dass sie jetzt jede davon hinterfragte. Wenn sie sich in dieser einen Sache so getäuscht hatte – gab es noch mehr, das sie missverstanden hatte?
„Ich frage mich, was Daddy gerade macht?“, sagte sie zu Emma.
Seit sie wieder in Venedig waren, schien Lorenzo nur noch zu arbeiten – entweder fuhr er ins Büro oder schloss sich in seinem Arbeitszimmer ein. Manchmal lief er auch durch den Palazzo und sprach in schnellem Italienisch in sein Handy, und genau das tat er auch jetzt. Chloe konnte ihn hören, jedoch nicht verstehen, was er sagte, weil sie den venezianischen Dialekt, der hier gesprochen wurde, noch immer nicht wirklich beherrschte.
Sie drückte Emma an sich und lauschte, um herauszufinden, ob Lorenzo in der Nähe war. Es war nicht so, dass sie Angst davor hatte, ihm zu begegnen – sie konnte sich nur noch daran erinnern, dass er früher, als sie noch für ihn gearbeitet hatte, meist schlechter Laune gewesen war, wenn er beim Telefonieren herumlief.
„Ich bin hier.“ Lorenzos tiefe Stimme erklang unerwartet direkt hinter ihr und ließ sie zusammenfahren. „Wolltest du irgendetwas von mir?“
„Oh!“, keuchte Chloe, und als sie sich umdrehte, sah sie ihn auf den Balkon treten. „Nein, eigentlich nicht. Ich hörte nur deine Stimme, und ich sprach gerade mit Emma. Ich zeige ihr die Boote auf dem Canal Grande.“
„Ist sie dafür nicht ein bisschen zu klein?“ Lorenzo runzelte die Stirn.
„Nein“, erwiderte Chloe und unterdrückte ihren Ärger darüber, wie er Emma ansah – als wäre sie irgendeine fremde Lebensform. Überhaupt nicht so, als sei sie seine Adoptivtochter. „Es ist wichtig, mit Babys zu sprechen, selbst wenn sie noch zu jung sind, um es zu verstehen. So lernen sie Dinge.“
Traurig blickte sie ihn an. Ihre Sorge, dass er trotz seiner guten Vorsätze Schwierigkeiten damit hatte, das Kind eines anderen Mannes in seinem Leben zu akzeptieren, war weiter gewachsen. Das kurze Aufflackern von Interesse an Emma an jenem Nachmittag am Strand auf Mauritius hatte sich nicht wiederholt, er gab sich überhaupt keine Mühe, eine Beziehung zu dem Baby aufzubauen.
„Ich habe etwas für dich in meinem Arbeitszimmer“, erklärte er plötzlich.
„Wirklich?“ Erleichterung drängte in ihr herauf. Sie hoffte, dass sie sich irrte und dass Lorenzos Distanz nur daran lag, dass er zu viel arbeitete. Er hatte sich sowohl in England als auch auf Mauritius viel Zeit für sie genommen. Zweifellos gab es für ihn jetzt sehr viel zu erledigen. „Was ist es?“
„Ich bin nicht ganz sicher“, sagte er. „Vielleicht solltest du mitkommen und es dir selbst ansehen?“
„Ja, gern“, erwiderte Chloe verwirrt. Wieso wusste er nicht, worum es sich handelte? Dennoch lächelte sie ihn an. Lorenzo sollte wissen, dass sie sich über diese aufmerksame Geste freute.
Er lief in seinem üblichen schnellen Tempo durch den Palazzo, sodass Chloe, die viel kleinere Schritte machte, kaum mithalten konnte. Mit dem Baby auf dem Arm wollte sie jedoch nicht rennen, deshalb fiel sie fast sofort zurück.
Lorenzo hielt inne und blickte sich um, dann sah er auf seine Armbanduhr.
„Ich habe in ein paar Minuten einen Telefonkonferenz“, erklärte er. „Lass mich das Baby tragen, sonst bleibt uns nicht genug Zeit.“
Chloe reichte ihm Emma mit einem merkwürdigen Gefühl im Bauch. Es machte ihr zu schaffen, dass Lorenzo die Kleine nur tragen wollte, damit sie schneller vorankamen. Aber dann sagte sie sich, dass er irgendwo anfangen musste. Wenn es ihm schwerfiel, etwas für Emma zu empfinden, dann wuchs die Beziehung zwischen ihnen vielleicht durch kleine, alltägliche Dinge.
Als sie im Arbeitszimmer ankamen, drückte Lorenzo ihr Emma jedoch abrupt wieder in die Arme.
„Das ist es.“ Er hob ein Paket vom Boden auf, das hinter seinem Schreibtisch stand. „Francesco Grazzini hat es geschickt. Er ist ein Geschäftsfreund von mir“, fügte er hinzu, als wüsste Chloe das nicht. Sie sagte jedoch nichts dazu, weil sie deswegen nicht mit ihm streiten wollte.
„Danke.“ Ihr Lächeln war angespannt, und sie wusste, dass sie ihre Enttäuschung nicht verbergen konnte.
„Was ist los?“, fragte Lorenzo, der sie aufmerksam musterte.
„Nichts.“ Sie erwiderte seinen Blick und biss sich unentschlossen auf die Lippe. Vielleicht sollte sie etwas sagen. Aber dann erinnerte sie sich an die Telefonkonferenz, die er
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