Julia Extra Band 0319
der sich einfach nur nach der Wärme und Sicherheit sehnte, die seine Mutter ihm hätte geben können.
Er wusste nichts über Liebe. Weil er sie nie erfahren hatte. Er wusste nicht mal, ob er dazu in der Lage war, jemanden zu lieben.
Chloe stand auf dem Balkon ihres Schlafzimmers und blickte über die Mündung des Canal Grande hinaus auf die venezianische Lagune. Es war ein bewölkter Tag im Juni, und der Himmel wirkte grau und farblos.
Als sie an ihrem Hochzeitstag im Februar herausgefunden hatte, dass Lorenzo Ehen, die aus Liebe geschlossen wurden, für zum Scheitern verurteilt hielt, war sie verzweifelt über seinen Zynismus gewesen. Aber jetzt zu erfahren, dass er nicht einmal daran glaubte, seine eigenen Kinder lieben zu können, zeichnete ein völlig anderes Bild.
Es war kein Zynismus. Es war völlige Hoffnungslosigkeit.
Lorenzos Kindheit musste schrecklich kalt und leer gewesen sein, und Chloes Herz zog sich schmerzhaft zusammen, wenn sie daran dachte, wie er als kleiner Junge durch den Palazzo gelaufen war – durch dieses riesige architektonische Monument seiner Familiengeschichte. Einsam und allein musste er sich gefühlt haben. Und ungeliebt.
„Wenn du die Scheidung möchtest, dann verstehe ich das.“ Als Lorenzos tiefe Stimme direkt hinter ihr erklang, hielt Chloe überrascht die Luft an.
„Was? Nein …“
Sie wirbelte zu ihm herum und erschrak über den gehetzten Ausdruck in seinen Augen. Aber dann wurde ihr klar, was er gesagt hatte – wenn du die Scheidung möchtest …
„Du hast deine Gefühle für mich sehr deutlich gemacht“, sagte Lorenzo. „Ich verstehe es, wenn du nicht möchtest, dass ich der Vater deiner Kinder bin.“
„Nein, ich …“ Chloes Stimme erstarb, als ihr wieder einfiel, wie sie ihn genannt hatte. „Ich glaube nicht, dass du ein Monster bist“, erklärte sie. „Ich meinte es nicht so – ich habe gesehen, wie viel Mühe du dir mit Emma gibst. Und ich weiß, dass du dir auch für deine eigenen Kinder nur das Beste wünschst.“
„Deshalb habe ich dich geheiratet“, erwiderte Lorenzo. „Ich dachte, du wärst das Beste für sie. Ich weiß, du liebst Emma, als wäre sie dein eigenes Kind, und du würdest unsere gemeinsamen Kinder genauso lieben.“
Er wandte sich einen Moment ab und fuhr mit den Händen durch sein kurzes schwarzes Haar. Die Geste zeigte Chloe, wie schwer es ihm fiel, mit ihr zu reden. Dann drehte er sich wieder zu ihr um und sah sie mit einem besorgten Ausdruck in den Augen an.
„Aber ich weiß, das ist nicht genug“, sagte er. „Kinder verdienen einen Vater, der in der Lage ist, sie zu lieben.“
Chloe erwiderte seinen Blick, erfüllt von einer Mischung aus Schock und Verzweiflung.
Sie liebte Lorenzo und hatte versprochen, an dieser Ehe zu arbeiten, trotz seines fehlenden Vertrauens in die Liebe. Aber jetzt schien er plötzlich beschlossen zu haben, dass es keine Rolle mehr spielte.
„Willst du damit sagen, dass du nicht mutig genug bist, es zu versuchen?“ In ihrer Stimme schwang Verachtung mit. „Du bist derjenige, der mich in diese Beziehung gedrängt hat, der mir gesagt hat, es wäre das Beste so. Und jetzt willst du aufgeben, einfach so?“
„Ich gebe nicht auf“, knurrte Lorenzo, offensichtlich verärgert. „Ich treffe eine überlegte Entscheidung. Diese Ehe war nicht das, was du wolltest – nicht nachdem du meine wahren Gefühle kanntest. Warum willst du jetzt um sie kämpfen?“
„Weil ich nicht so einfach aufgebe!“, rief Chloe. „Ich drehe mich nicht um und gehe, sobald es schwierig wird.“
Sie drängte an ihm vorbei aus dem Schlafzimmer, um Emma zu holen und sich bei einem Spaziergang mit ihr zu beruhigen. Aber dann erinnerte sie sich an das, was ihr kurz vor Lorenzos Auftauchen in den Sinn gekommen war. Dass seine schwierige, lieblose Kindheit ihn den Glauben an andere Menschen hatte verlieren lassen. Dass er deshalb nicht mehr auf Liebe hoffte. Vielleicht wollte er ihre Ehe deshalb aufgeben.
Sie wandte sich wieder zu ihm um, und ihr Zorn verrauchte. Er war furchtbar verletzt worden. Vielleicht hatte er Angst, er könnte seinen eigenen Kindern wehtun.
„So schnell gebe ich nicht auf“, wiederholte Chloe, aber diesmal sanfter. „Ich weiß, wie sehr es dich verletzt hat, dass deine Mutter dich im Stich ließ und dass du mit dem Gefühl aufwachsen musstest, nicht geliebt zu werden. Aber die Geschichte wiederholt sich nicht. Du musst dir selbst eine Chance geben.“
Vorsichtig trat sie auf ihn zu und
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