Julia Extra Band 0327
dir den Namen deines Vaters so lange vorenthalten haben, Rafael. Ich wollte dir nicht wehtun.“
Er trank einen Schluck Cognac und knallte das leere Glas auf den Tisch. „Das hast du aber. Zwanzig Jahre lang habe ich dich gebeten, mir zu sagen, wer mein Vater ist. Und du wartest, bis er tot ist! Mein ganzes Leben lang hast du mir meinen richtigen Vater vorenthalten. Und du behauptest, du wolltest mir nicht wehtun?“ Rafael lachte verächtlich.
Agustina war bleich geworden. „Aber, Rafael! Ich dachte, du verstehst mich“, flüsterte sie.
„Ich verstehe nur zu gut. Und nun …“ Er stand auf. „… wirst auch du verstehen. Du wirst verstehen, wie es sich anfühlt. Du hast meine Familie kennengelernt. Du siehst sie heute zum ersten und zum letzten Mal, Mutter.“
„Was?“ Vor Schreck stockte Louisa der Atem.
Rafael hob Noah aus dem Hochstuhl. „Wir werden nie wieder nach Buenos Aires kommen. Mein Sohn wird sich niemals an seine Großmutter erinnern. Er wird nicht einmal von deiner Existenz erfahren. Du wirst sterben, wie mein Vater gestorben ist: Einsam und verlassen.“
Agustina schien einer Ohnmacht nahe zu sein.
„Aber Rafael! Das kannst du doch nicht machen.“ Louisa war aufgesprungen und musterte ihn entsetzt. „Ich werde das nicht zulassen.“
„Du hast die Wahl“, antwortete er gleichmütig. „Entscheide dich für meine Mutter, die für dich praktisch eine Fremde ist, oder für deinen Ehemann und deinen Sohn.“ Mit Noah auf dem Arm verließ er das Zimmer.
Louisa wollte ihm nachlaufen, doch dann fiel ihr Blick auf Agustina, die einsam und verloren am Tisch saß.
„Es tut mir leid“, stieß Louisa hervor. „Ich werde versuchen, mit ihm zu reden.“
Traurig schüttelte Agustina den Kopf. „Das wird nichts nützen, Kindchen.“ Sie rang sich ein Lächeln ab. „Es hat mich sehr gefreut, dich kennenzulernen. Pass bitte gut auf meine beiden Jungen auf. Adios. Geh mit Gott.“
Tränen kullerten über Louisas Wangen, als sie aus der Wohnung eilte. Der Fahrstuhl war unten, daher lief sie die sechs Stockwerke hinunter. Keuchend erreichte sie die Straße, doch sie kam zu spät. Die Limousine mit Rafael und Noah fuhr bereits los.
„Halt!“, schrie Louisa verzweifelt. Der Wagen hielt an.
„Du kommst buchstäblich in letzter Sekunde“, kommentierte Rafael eisig, als sie die Tür aufriss.
Atemlos schob Louisa sich auf den Rücksitz, neben Noah, der in seinem Kindersitz angeschnallt war. Weinend küsste sie ihr Baby aufs Haar, dann setzte die Limousine sich wieder in Bewegung.
„Wie konntest du deiner Mutter das antun?“, fragte Louisa empört, als sie wieder zu Atem gekommen war. „Das ist grausam.“
„Jetzt weißt du, wie es Menschen ergeht, die mich verraten. Es hat zwanzig Jahre gedauert, aber jetzt hat meine Mutter endlich ihre gerechte Strafe für das bekommen, was sie mir angetan hat. Und meinem Vater, den ich nie kennenlernen durfte.“ Rafael beugte sich vor. „Fahren Sie zum Flughafen“, wies er den Chauffeur an.
„Du bist noch herzloser, als ich gedacht habe“, sagte Louisa, die plötzlich Angst bekam.
„Ich bin nicht herzlos.“ Zärtlich umfasste er ihr Gesicht. „Ich bin nämlich bereit, dir zu verzeihen, mi vida . Aber du darfst mich nie wieder hintergehen.“
„Was soll das heißen?“
„Wenn du mich nie wieder belügst, darfst du meine Ehefrau bleiben und unseren Sohn großziehen. Du wirst von allen geschätzt und respektiert werden. Solltest du mich aber je wieder hintergehen …“
Sie sahen einander tief in die Augen.
„Was dann?“, fragte Louisa mit bebender Stimme.
Rafael ließ sie abrupt los, griff nach der Zeitung, die auf seinem Schoß lag und schlug sie auf, um sich dahinter zu verbergen. „Dann verlierst du alles.“
10. KAPITEL
Dann verlierst du alles.
Diese Worte hallten auch Wochen später in Louisa nach, als sie an einem kühlen Frühlingsmorgen in einem Café an der Seine saß und Notre Dame betrachtete. Noah lag gut eingepackt in seinem Buggy und schlief. Nachdenklich trank sie einen Schluck Kaffee. Doch auch das heiße Getränk konnte sie nicht wärmen.
Sie schloss die Augen und wandte das Gesicht der Sonne zu.
Sollte Rafael je erfahren, was sie gerade getan hatte …
Ich musste es tun, dachte Louisa. Er durfte seine Mutter nicht so grausam behandeln. Zumal er mit seinen Rachegelüsten nicht nur seine Mutter und seinen Sohn verletzte, sondern am meisten sich selbst.
Bis vor wenigen Minuten hatte Agustina neben ihr gesessen
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